Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
raue Aussehen seines sympathischen Gesichtes milderte. Seine Zähne waren ein bisschen braun, weil er sich früher in den Wäldern nicht um sie gekümmert hatte, aber das fiel nie auf, und er machte seinen Mund weit auf, um schallend über einen Witz zu lachen. Manchmal wurde er auf einmal ganz ruhig und starrte traurig auf den Fußboden wie ein Mann, der schnitzt. Manchmal war er übermütig. Er interessierte sich sehr für mich und die Geschichte vom Gammler der heiligen Theresa und nahm Anteil an allem, was ich ihm von meinen eigenen Erfahrungen mit Güterzügen, Hitchhiken und Waldspaziergängen erzählte. Er behauptete sofort, dass ich ein großer ‹Bodhisattva› wäre, das heißt ‹Großes kluges Geschöpf›, oder ‹Großer kluger Engel›, und dass ich diese Welt durch meine Aufrichtigkeit verschönte. Wir hatten auch dieselben buddhistischen Lieblingsheiligen: Avalokitesvara oder in Japan den elfköpfigen Kwannon. Er kannte alle Einzelheiten des tibetischen, chinesischen, japanischen und sogar burmesischen Buddhismus, verstand was von Mahayana und Hinayana, aber ich warnte ihn sofort, dass ich mich einen feuchten Kehricht um die Mythologie und die ganzen Namen und nationalen Spielarten des Buddhismus kümmerte und dass ich mich ganz einfach nur für die erste von Sakyamunis vier edlen Wahrheiten interessierte: Alles Leben ist Leiden – und bis zu einem gewissen Grade auch noch für die dritte: Die Überwindung des Leidens kann erreicht werden – was ich damals noch für unmöglich hielt. (Ich hatte die Lankavatara-Schriften noch nicht verdaut, in denen gezeigt wird, dass es auf der Welt letzten Endes nichts gibt als den reinen Geist und dass deshalb alles möglich ist, auch die Überwindung des Leidens.) Japhys bester Freund war der bereits erwähnte Warren Coughlin, ein Kuschelbär mit einem guten Herzen, ein Dichter mit hundertachtzig Pfund Lebendgewicht, für den Japhy die Reklametrommel rührte und in dem mehr drinsteckte, als der Augenschein vermuten ließ (wie er mir einmal zuflüsterte).
«Wer ist er denn?»
«Er ist mein bester Freund aus der Zeit, als ich noch in Oregon war, und wir kennen uns schon lange. Zuerst denkt man, er schaltet langsam und ist dumm, aber in Wirklichkeit ist er ein leuchtender Edelstein. Du wirst es schon noch merken. Lass dich von ihm nicht zu Kleinholz machen. Er hat manchmal so eine Art, nur ein paar Worte zu sagen, und du weißt nicht mehr, wo du deinen Kopf hast, mein Junge.»
«Warum?»
«Er ist ein sehr geheimnisvoller Bodhisattva, ich glaube, vielleicht sogar eine Wiedergeburt von Asagna, dem großen Mahayana-Jünger aus vergangenen Jahrhunderten.»
«Und wer bin ich?»
«Keine Ahnung. Vielleicht bist du Schaf?»
«Schaf?»
«Vielleicht bist du Matschgesicht.»
«Wer ist Matschgesicht?»
«Matschgesicht ist der Matsch in deinem Schafsgesicht. Was würdest du sagen, wenn man jemandem die Frage stellt Hat ein Hund Talent zum Buddhismus? und der würde antworten Wau!?»
«Ich würde sagen: Lass mich zufrieden mit diesem ganzen albernen Zenbuddhismus.»
Das ernüchterte Japhy ein bisschen.
«Hör mal zu, Japhy», sagte ich. «Ich bin kein Zen-Buddhist, ich bin ein ernsthafter Buddhist, ich bin ein altmodischer verträumter Hinayana-Feigling des späteren Mahayana», und so weiter bis in die Nacht hinein, wobei ich in diesem Wortgefecht als Argument vorbrachte, dass der Zenbuddhismus sich weniger auf Nächstenliebe als auf Verwirrung des Verstandes konzentrierte, um deutlich zu machen, dass die Illusion der Kern aller Dinge ist. «Es ist gemein», beklagte ich mich, «wie alle diese Zen-Meister ihre jungen Schüler in den Dreck treten, weil sie ihre albernen Wortfragen nicht beantworten können.»
«Das machen sie nur, damit die merken, dass Dreck besser ist als Worte, mein Junge.»
Ich will es versuchen, aber ganz kann ich das brillante Feuerwerk von Japhys provozierenden Antworten und Rückfragen und Behauptungen nicht wiedergeben. Und schließlich brachte er es fertig, mir Gedanken in meinen kristallenen Schädel zu setzen, durch die ich gezwungen wurde, meine Lebenspläne zu ändern.
Ich folgte jedenfalls dem ganzen Haufen wild heulender Dichter in die Six Gallery, wo sie an diesem Abend ihre neuen Werke vorlesen wollten. Das war die Nacht, in der, neben anderen wichtigen Dingen, in San Francisco die Lyrik-Renaissance ins Leben gerufen wurde. Alle waren sie da. Es war eine verrückte Nacht. Und ich war derjenige, der die ganze Sache in Gang
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