Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
brachte, indem ich herumging und von dem ziemlich steifen Publikum, das in der Galerie herumstand, 10-Cent-Stücke und Vierteldollars einsammelte und dann mit drei großen Vierliter-Weinballons voll kalifornischem Burgunder zurückkam und alle besoffen machte, sodass gegen elf, als Alvah Goldbook sich betrunken und mit ausgebreiteten Armen ans Lesen, ja Vorjammern seines Gedicht «Das Jammern» machte, alle «Go! Go! Go!» riefen (wie bei einer Jamsession) und der gute alte Rheinhold Cacoethes, der Vater der Dichterbewegung von Frisco, sich vor Freude die Tränen aus dem Gesicht wischte. Japhy selbst las sein schönes Gedicht von Coyote, dem Gott der nordamerikanischen Plateau-Indianer, wenn ich mich recht erinnere, oder jedenfalls doch der Gott der Kwakiutl-Indianer im Nordwesten und was nicht sonst noch alles.
«Leckt mich am Arsch! sang Coyote und rannte davon», las Japhy dem vornehmen Publikum vor, und alles brüllte vor Freude. Es war etwas Reines, dass ein schmutziges Wort wie Arsch so sauber herauskam. Und er trug seine zarten, lyrischen Verse vor, aus denen man seine Tierliebe erkennen kann, wie die von den Bären, die Früchte essen, und er sprach seine gewaltigen, geheimnisvollen Verse von den Ochsen auf den Straßen der Mongolei, aus denen man seine Kenntnis der orientalischen Literatur entnehmen konnte, die weit bis hin zu Hsuan Tsung, dem großen chinesischen Mönch, reicht, der von China nach Tibet, von Lanchow nach Kashgar und in die Mongolei wanderte und dabei einen Weihrauchstab in der Hand trug.
Dann ließ Japhy plötzlich seinem Kneipenhumor freien Lauf, und er las Verse vor, wie Coyote Bonbons mitbringt. Und dann seine anarchistischen Ideen, in denen es darum geht, dass die Amerikaner nicht wissen, wie man leben soll, mit Zeilen über Pendler, die in ihren Wohnzimmern festsitzen, die aus den Stämmen armer mit Kettensägen gefällter Bäume gebaut waren (hier kam seine frühere Arbeit als Holzfäller weiter im Norden durch). Seine Stimme war tief und hallend und irgendwie mutig, wie die Stimmen von Helden und Rednern aus Amerikas Vergangenheit. Er hatte etwas Ernstes und Starkes und etwas hoffnungsvoll Menschliches, und das mochte ich an ihm, während die anderen Dichter entweder zu elegante Ästheten waren oder von einem so hysterischen Zynismus, dass sie auf nichts mehr hofften, oder zu abstrakt oder vor lauter Stubenhockerei ungelüftet oder zu politisch oder zu unverständlich wie Coughlin (Coughlin, der Große, sprach von «unerklärlichen Vorgängen», obgleich ich überall da, wo Coughlin von der Offenbarung als von einer persönlichen Angelegenheit sprach, den starken und buddhistischen Einfluss Japhys herausspürte. Ich erkannte all die Gedanken und Gefühle, die Japhy, als sie gemeinsam studierten, mit dem gutherzigen Coughlin geteilt hatte, so wie ich im Osten die meinen mit Alvah geteilt hatte und mit anderen, die weniger apokalyptisch und unerbittlich, aber in keiner Hinsicht sentimentaler und leichter zu rühren waren).
In der Zwischenzeit standen Dutzende von Leuten in der verdunkelten Galerie herum und versuchten angestrengt, jedes Wort dieser erstaunlichen Dichterlesung zu hören, während ich von Gruppe zu Gruppe wanderte, die Leute ansah und von der Bühne wegsah und jedem einen gluckernden Schluck aus der Ballonflasche aufnötigte, oder ich ging nach hinten und setzte mich rechts neben die Bühne und gab kleine Grunzer und «Go! Go! Go!»-Rufe der Zustimmung oder sogar ganze erläuternde Sätze von mir, niemand hatte mich dazu eingeladen, aber in der allgemeinen Fröhlichkeit hatte auch niemand etwas dagegen. Es war eine gewaltige Nacht. Der zerbrechliche, zarte Francis DaPavia las aus einem zerbrechlich zarten Manuskript, dessen Blätter gelb waren wie Zwiebelhäute oder rosa, sorgfältig blätterte er sie mit langen weißen Fingern um. Er las die Gedichte seines verstorbenen Freundes Altman, der in Chihuahua zu viel Peyote gegessen hatte (oder an Kinderlähmung gestorben war), aber er las keines von seinen eigenen Gedichten – schon das allein war eine bezaubernde Huldigung an den toten jungen Dichter, las mit zerbrechlich zarter Stimme und leicht englisch angehauchtem Akzent, sodass mir vor innerem Lachen die Tränen in die Augen traten, obgleich ich Francis dann später genauer kennen- und schätzen lernte.
Unter den Leuten, die im Publikum herumstanden, befand sich Rosie Buchanan, ein Mädchen mit kurz geschnittenen roten Haaren, knochig gebaut, gutaussehend, eine
Weitere Kostenlose Bücher