Gammler, Zen und hohe Berge (German Edition)
Name: Desolation! – Ein Berg, der ‹Einsamkeit› heißt.»
«Er ging als erster Ausguck nach oben, ich kriegte ihn auf Anhieb auf meinem Funkgerät, und er hieß mich in der Gemeinschaft der Ausgucke willkommen. Später nahm ich mit anderen Bergen Kontakt auf, sie geben einem nämlich ein Wechselfunksprechgerät zum Senden und Empfangen, es ist beinahe ein Ritual, alle Ausgucke unterhalten sich und erzählen von Bären, die sie gesehen haben, oder erkundigen sich manchmal, wie man Semmeln auf einem Holzofen backt und so weiter, und da waren wir alle in einer hohen Welt und unterhielten uns durch ein Funknetz über eine Wildnis von Hunderten von Meilen hinweg. Es ist eine unzivisilierte Gegend, wo du hingehst, Junge. Von meiner Hütte aus konnte ich nach Einbruch der Dunkelheit die Lampen von Desolation sehen, wo Jack Joseph seine Geologiebücher las, und am Tag gaben wir mit dem Spiegel Signale, um unsere Waldbrand-Signalanlage auszurichten, genau nach Kompass.»
«Mein Gott, wie soll ich das alles jemals lernen, ich bin bloß ein einfacher Dichter-Gammler.»
«Ach, das wirst du schon lernen, den magnetischen Pol, den Polarstern und das Nordlicht. Jede Nacht redeten Jack und Joseph und ich miteinander: Eines Tages hatte er einen Schwarm Marienkäfer auf seinem Ausguck, die das Dach bedeckten, und die Zisterne war voll davon, an einem anderen Tag spazierte er am Bergrücken entlang und trat genau auf einen schlafenden Bären.»
«Oho, und ich dachte schon, hier wäre es wild und einsam!»
«Dies ist gar nichts … und als das Gewitter herankam, immer näher, rief er mich, um mir noch zu sagen, dass er abschaltete, weil das Gewitter so nah war, dass er das Radio nicht mehr anlassen konnte, er verschwand aus Hör- und dann Sichtweite, als die schwarzen Wolken rüberfegten und der Blitz auf seinem Berg tanzte. Aber im Lauf des Sommers wurde Desolation trocken, und überall blühten Blumen und grasten Lämmer, und er wanderte auf den Klippen, und ich war auf dem Crater Mountain, fast nackt, hatte nur Stiefel an und stöberte aus Neugier Vogelnester auf, kletterte und hopste durch die Gegend und wurde von Bienen gestochen … Desolation liegt ganz weit oben, Ray, fast zweitausend Meter oder so, mit Blick auf Kanada und das Chelan-Hochland, die Wildnis der Picket-Gebirgskette und Berge wie Challenger, Terror, Fury, Despair, und deine eigene Bergkette heißt Starvation Ridge, landeinwärts die Boston Peak- und Buckner Peak-Kette nach Süden, Berge, wohin man schaut, Wild, Bären, Kaninchen, Habichte, Forellen, Eichhörnchen. Es wird großartig für dich, Ray.»
«Ich freu mich auch schon darauf. Ich wette, dass mich keine Biene sticht.»
Dann holte er seine Bücher raus und las eine Weile, und ich las auch, jeder bei einer kleingedrehten Öllampe für sich, ein stiller Abend zu Hause, während der neblige Wind draußen in den Bäumen rauschte und auf der anderen Seite des Tals ein tieftrauriges Maultier i-ahte, mit einem der allerherzzerreißendsten Schreie, die ich je gehört habe. «Wenn das Maultier so weint», sagte Japhy, «möchte ich am liebsten für alle fühlenden Geschöpfe beten.» Dann meditierte er eine Zeitlang bewegungslos in der vollen Lotusstellung auf seiner Matte und sagte dann: «Zeit zum Schlafengehen.» Aber jetzt wollte ich ihm erzählen, was ich alles in jenem Winter beim Meditieren im Wald entdeckt hatte. «Ach, das ist ja bloß ein Haufen Worte», sagte er traurig, was mich überraschte. «Ich will nicht deine ganzen Wortbeschreibungen hören von Worten Worten Worten, die du dir den ganzen Winter über ausgedacht hast, Mann, ich will durch Taten erleuchtet werden.» Japhy hatte sich seit dem letzten Jahr auch verändert. Er hatte nicht mehr seinen Kinnbart; dadurch war der lustige, fröhliche, verschmitzte Ausdruck von seinem Gesicht verschwunden. Er sah jetzt hager und steinhart aus. Auch hatte er seine Haare in einem kurzen Stoppelhaarschnitt geschnitten und sah germanisch und streng und vor allem traurig aus. In seinem Gesicht schien jetzt irgendeine Enttäuschung zu liegen, und bestimmt in seiner Seele, er wollte meine eifrigen Erklärungen, dass alles in Ordnung war für immer und für immer und für immer, nicht anhören. Plötzlich sagte er: «Ich werde mich bald verheiraten, glaube ich, ich hab es über, so rumzugammeln.»
«Aber ich dachte, du hättest das Zen-Ideal der Armut und Freiheit entdeckt.»
«Oh, vielleicht kriege ich das alles über. Wenn ich von dem Kloster in
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