Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
der liebe Gott hat Humor.
Es mag an Bruno Gröning liegen, dass die Dillenburger empfänglicher für Esoterik sind als andere Hessen. Und mein schlechtes Gewissen mag schuld daran sein, dass ich mich ebenfalls darauf einlasse. Vielleicht hat der Rothaarsteig meine Spiritualität geweckt. Wie auch immer, in der Lokalzeitung entdecke ich diese rätselhafte Kleinanzeige:
GEMEINSAM AKTIV FÜR EINE WELT, IN DER LIEBE DAS MASS ALLER DINGE IST. BIST DU DABEI?
Mein Kopf denkt zwar «Auf keinen Fall!», doch mein spiritueller Geist wählt eine Nummer, die unter dem Inserat auftaucht. Schließlich hat Lotte gesagt, ich solle lernen, mich selbst zu lieben. Es klingelt zweimal, dann meldet sich eine freundliche, mittelalte Frauenstimme.
«Erika Wolf-Zielinski …»
«Ja, äh, Gastmann hier. Ich habe Ihre Anzeige gelesen. Was verbirgt sich denn dahinter?»
«Was vermuten Sie denn?», fragt die Stimme, und ehrlich gesagt habe ich zuerst an Hausfrauen-Prostitution, eine Tantra-Schule oder Schlimmeres gedacht. Ich erkläre Frau Wolf-Zielinski, dass ich Journalist und berufsbedingt neugierig sei. Sie quietscht und sagt, es sei Schicksal, dass ich ausgerechnet heute anrufe, denn am Abend halte sie mit einer Kollegin einen kleinen Vortrag im Nachbarort Gladenbach. Den allerersten Vortrag ihres Lebens. «Es geht also nicht um Erotik?», frage ich. Frau Wolf-Zielinski verneint entschieden, gibt aber zu, dass ihre Anzeige vielleicht etwas missverständlich ist. Sie habe auch selten so viele obszöne Anrufe bekommen wie in diesen Tagen. «Herr Gastmann, wir zeigen Ihnen, wie Sie alle Probleme des Lebens in Liebe lösen können.» – «Oh, prima», antworte ich und sehe hektisch nach, ob es in meinem Zimmer eine Minibar mit Hochprozentigem gibt. Gibt es leider nicht.
Ich nehme etwas panisch das einzige Taxi der Stadt, lasse mich zwanzig Kilometer nach Gladenbach kutschieren, entdecke eine hübsche Trattoria und beginne, mir Mut anzutrinken. Als ich dem italienischen Chef von meinem Canossa-Gang erzähle, hüpft sein Herz.
«Nein!», sagt er.
«Doch!», sage ich.
«Nein!», sagt er.
«Doch!», sage ich.
«Incredibile!», ruft er. «In-cre-di-bi-le! Zu Fuß nach Italia?»
«Ja, richtig.»
«Du alleine?»
«Ja.»
«Bravo!», lacht er und schüttelt meine Hand. «Complimenti! Complimenti! Du machst mich stolz! Ich bin Renato.»
«Dennis. Freut mich!»
«Dennis! Dennis! Mein Freund! Hey, hört mal alle her! Silenzio! Einmal Ruhe bitte!»
Jetzt schreckt Renato das ganze Lokal auf. Dabei bin ich doch undercover unterwegs.
«Pssst, Ragazzi, dieser Mann hier, Dennis, er geht nach Italia! Solo! Ganz alleine! Zu Fuß nach Italia!»
Ich lächele verlegen, Renato flitzt zurück an meinen Tisch und reicht mir erneut die Hand.
«Respekt, Dennis, Respekt.»
«Na, ich bin ja noch nicht da.»
«Das ist egal. Du schaffst das, ich glaube an dich. Wohin gehst du noch mal genau?»
«Nach Canossa! Ich trete den Gang nach Canossa an.»
Renato zieht die Augenbrauen hoch.
«Wieso denn Canossa? Wieso nicht Bari? Ich komme aus Bari!»
«Heinrich IV.», brummelt ein Gast.
«Fa lo stesso!», ruft Renato. «Ist doch auch egal.»
«Ich war noch nie in Italien», sage ich.
«Du machst Witze. Noch nie in Italia? Noch nie?»
«Nein, ich …»
«Dann hast du auch nie gelebt!»
Jetzt ziehe ich die Augenbrauen hoch. Es stimmt wirklich, ich war schon in Bolivien, Malaysia, Äthiopien, Taiwan und Neuseeland, aber noch nie im Land der Zitronen und treulosen Tomaten. Italiener kenne ich nur aus der Pizzeria «Da Pietro» an der Rheiner Landstraße in Osnabrück-Weststadt und von leidvollen Erfahrungen bei EM- und WM-Spielen. Italiener sind die Spieler, die gefühlte neunzig Minuten gekrümmt auf dem Rasen liegen und am Ende gewinnen. Mein Lieblingsitaliener? Ein großer Schauspieler: Bud Spencer. Renato ähnelt übrigens dem jungen Al Pacino, allerdings hätte der sich nicht die Augenbrauen gezupft.
«Dennis, pass auf. Wenn du nicht nach Bari willst, ist es okay. Canossa ist auch wunderschön. Wun-der-schön! Bellissima! Warte, ich hol etwas.»
Renato eilt hinter den Tresen, reißt ein kleines Bild von der Wand und sprintet zurück an meinen Tisch.
«Mein Freund, weißt du, wer das ist?»
Ich blicke auf das Porträt eines bärtigen alten Mannes im Mönchsgewand. Es ist nicht der Nikolaus, es ist nicht Vader Abraham, es ist auch keiner von den Ludolfs.
«Dennis, das ist Padre Pio. Padre Pio! Der kommt aus Canossa!»
Renato erklärt, der Padre
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