Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
nach Canossa.»
«Wie viel Bier muss ich Ihnen ausgeben, damit Sie mir ein paar schmutzige Details aus dem Beichtstuhl verraten?»
Und auf einmal wird der Pfarrer einsilbig. Das Beichtgeheimnis sei heilig. Selbst wenn ihm jemand in der Kirche einen Mord gestehen würde, dürfte er niemals mit einer dritten Person darüber reden.
«Nur so viel kann ich Ihnen verraten: Die Menschen beichten weniger als früher. Und sie sind nicht schlechter geworden, aber auch nicht besser.»
Es ist spät, und der Geistliche möchte mir noch etwas zeigen. Im Mondlicht folge ich ihm durch einen grünen Garten in die Pfarrei. «Da haben Sie aber ein schönes Haus!», sage ich. «Nicht wahr?», ruft Herr Bender und sucht die Schlüssel für den Dom. Sein Hund hat sich indes unten auf die Türschwelle gelegt und wohl beschlossen, dort die Nacht zu verbringen. Wir gehen durch das Mittelschiff, biegen links ab in die kleine, schmucklose Afrakapelle, setzen uns in die zweite Reihe der Holzbänke und schweigen. Diesen Raum hat Heinrich IV. zu Ehren seines Sohnes bauen lassen, der das Licht der Welt an einem 7. August erblickte, dem Tag der heiligen Afra von Augsburg. Wie das Leben so spielt, verstarb Heinrich an einem 7. August, aber weil der Papst ihn mal wieder aus der Kirche gebannt hatte, konnte er unmöglich im Dom begraben werden. So ließ ihn sein Sohn hier in der Afrakapelle aufbahren, denn die war noch nicht geweiht. Fünf lange Jahre lag das schwarze Schaf in diesem Raum, bis man es endlich begnadigte und posthum wieder in die Kirche aufnahm. Vielleicht gibt es tatsächlich so etwas wie Schicksal.
«Hierhin ziehe ich mich zurück, wenn ich Ruhe suche», sagt Herr Bender, «und das will ich Ihnen mit auf den Weg geben: Halten Sie auf Ihrem Gang nach Canossa immer wieder inne, dann hören Sie Ihr Herz. Sie müssen nicht Katholik werden, Sie müssen sich auch nicht für einen Glauben entscheiden. Aber in den Religionen der Welt sammelt sich Weisheit, und das sollten Sie respektieren.»
Vielleicht nehme ich die Worte des Pfarrers ein klein wenig zu ernst, sonst hätte ich den Flyer, der im Briefkasten meines Pilger-Appartements steckte, wahrscheinlich sofort weggeworfen. Doch jetzt möchte ich dem bunten, gefalteten Zettel eine Chance geben. Mit liebevoll gezeichneten und in Pastellfarben kolorierten Jesusmotiven lädt mich eine junge Glaubensgemeinschaft zu einem «interessanten biblischen Vortrag» ein. Er sei «Teil einer weltweiten Aktion, durch die Menschen erreicht werden sollen, die Jesus lieben». Und wer, bitte schön, liebt Jesus nicht? Leider ist der Veranstaltungsort etwas, nun ja, abgelegen. Im gänzlich unroyalen Speyerer Gewerbegebiet, eingerahmt von Rewe und der Tiernahrungsgroßhandlung Futternapf, residiert der Königreichssaal der Zeugen Jehovas, und ich statte ihnen heute einen Hausbesuch ab.
Das Allerheiligste der bibeltreuen Jesusfreunde ist gut geschützt: Zwei freundliche Wachleute mit anrasierten Stiernacken, hochgewachsen wie Goliath, patrouillieren im Foyer. Drinnen im Vortragszimmer sind die meisten der einhundert Plätze bereits belegt. Auch hier dominieren Pastelltöne, vor allem das Mintgrün des flauschigen Teppichs und das zarte Grau der Sitzbezüge. Von der Kassettendecke durchflutet gelbes Neonlicht den Raum. Das ganze Setting wirkt irgendwie sehr amerikanisch.
Die Männer tragen ausnahmslos Sakkos und weiße Hemden, dazu häufig rote Krawatten und beigefarbene Hosen. Alle Röcke sind mindestens knielang. Ich bin mit meinen Wandersachen hoffnungslos underdressed, doch nicht nur deshalb falle ich auf. Ich scheine der einzige Fremde zu sein, bei dem die Werbekampagne der Zeugen Jehovas gefruchtet hat. Deshalb stürmen gleich mehrere Sektenmitglieder gleichzeitig in meine Richtung. Einer weist mir einen freien Platz zu, ein anderer schenkt mir ein Gesangbuch und eine Zeugen-Jehovas-Bibel, die «Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift», eine charmante alte Dame nimmt meine Hand, kommt mir ein klein wenig zu nah und erzählt mit leuchtenden Augen, wie sie Anfang der sechziger Jahre mit hunderttausend anderen den Wachturm-Kongress im Hamburger Stadtpark besucht habe und was das für ein überwältigendes Gefühl gewesen sei. Sie lebe jetzt schon seit 1959 «in der Wahrheit».
Ehe ich darüber nachdenken kann, welche Wahrheit sie meint, eilt ein Mann im bordeauxroten Sakko auf mich zu. Er trägt einen Schnurrbart, hat auffällig schlechte Zähne und stellt sich als Sohn eines amerikanischen GIs
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