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Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)

Titel: Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
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deshalb kommt der Rolf auch in den Himmel.»
    Beneidenswert. Aber was soll dieser Mann auch in der Hölle? Der Teufel würde ihn nach einem Tag entnervt zurück auf die Erde schicken.

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    Kapitel 8
    Bibel-Bingo
    (Speyer)
    P fälzer Gemütlichkeit, man könnte sie auch Bräsigkeit nennen. Positiv gesprochen: In Speyer muss man nicht nach links oder rechts gucken, wenn man die Straße überquert. Kein Fahrzeug ist so schnell, dass es einen ernsthaft verletzen könnte. Alles tuckert so daher: die Autos, die Busse, die Bedienungen in den Cafés. Seit zwanzig Minuten sitze ich nun auf dem Marktplatz und möchte das «Pilger-Frühstück» bestellen. Es würde so hübsch passen, denn gestern Nachmittag habe ich bereits das «Pilger-Appartement» in der verwinkelten Altstadt bezogen, ich werde über Ostern bleiben. Doch der Kellner ist unglaublich talentiert darin, alles und jeden um sich herum zu ignorieren, und nach einer halben Stunde stehe ich auf. Die Pfalz scheint das Afrika Deutschlands zu sein: Wir haben die Uhr, aber die Pfälzer haben die Zeit.
    Dabei ist Trägheit eine der sieben Todsünden. Und so grüßt der Speyerer Dom die pfälzische Gemeinde am Hauptportal mit der Fratze eines faulen Schweins. Ein geschminktes Mädchen symbolisiert die Eitelkeit, ein Streithahn den Zorn und ein hagerer Mann mit Blick nach oben den Neid. Für die Wollust steht ein geiler Bock, für die Gier ein von Disteln umgebenes Gesicht mit einer Münze auf der Zunge, und die Völlerei verkörpert eine fette Visage, der Essensreste aus dem Maul hängen. Willkommen im Wohnzimmer Heinrichs IV.! Von hier aus ist der Rockstar unter den deutschen Königen nach Canossa gezogen. Und genau hier hat er sein gigantisches Ego in Stein gehauen. Na ja, hauen lassen. Es ist kein Geheimnis, wie solche Tempel im Mittelalter entstanden sind: Wenn sich die Edlen und Gottesfürchtigen eine neue Hütte wünschten, ließen sie einfach die Landbevölkerung ausbluten. Ihr Sünderlein, kommet! Vergesst die Saat, lasst die Ernte verdorren und eure Familien Hunger leiden – schaffe, schaffe, Häusle baue für den Herrn! Und wenn mal einer von der Dachzinne rutscht oder vom Balken zerquetscht wird, dann nicht traurig sein, denn es war ja Gottes Wille. Dessen Wege sind zwar unergründlich, aber irgendwas wird er sich schon dabei gedacht haben.
    Heinrichs Großvater, Kaiser Konrad II., setzte vor fast eintausend Jahren den Grundstein, und es dauerte sechsunddreißig gemütliche Pfälzer Sommer, bis der Dom halbwegs fertig war. Dann blickten die fünfhundert Einwohner Speyers auf die bis dahin größte Kirche der Christenheit: ein gewaltiges, langgezogenes Schiff auf zwölf Säulen, mit zwei Türmen, die bei weitem alles überragten, was sie je zuvor gesehen hatten. Die Speyerer nannten ihren Kaiserdom ehrfurchtsvoll «Gebirge aus Stein». Doch Heinrich IV. war das Monument noch zu mickrig. Es ist kaum zu fassen, aber nur zwanzig Jahre nach ihrer Vollendung ließ er Opas Kathedrale zur Hälfte einreißen und fünf Meter höher wieder aufbauen. Aus der flachen Holzdecke des Mittelschiffs wuchsen sechs mächtige Gewölbekuppen für die sechs Tage der Schöpfung. Damals hätten Ratingagenturen Heinrichs Kreditwürdigkeit sicher drastisch abgewertet, heute sind ihm die Steuerzahler im Weintrinkerland dankbar: Ein riesiger Touristenmagnet thront mitten in der pfälzischen Provinz, die größte erhaltene romanische Kirche des Erdballs. Allerdings kann man nicht behaupten, dass Heinrich einen feinen Sinn für richtungsweisende Baukunst und Innengestaltung gehabt hätte. Sein Protzbunker war reiner Machismo: Seht her, ich bin der König der Welt! Herr über die Kirche, ihre Heiligen und auch über den Papst. Wir wissen, welchen Ärger er sich damit einhandelte.
    Vielleicht werden die Vertreter der katholischen Kirche allmählich müde, die alte Story immer und immer wieder zu erzählen. Ich hatte das Bistum um eine persönliche Domführung gebeten – und bekam Kopfhörer und eine Fernbedienung. Da bin ich also vier Wochen zu Fuß von Hamburg nach Speyer gelaufen, um mir von einem elektronischen Audioguide erklären zu lassen, dass der kunsthistorisch bedeutsame Dom kunsthistorisch bedeutsam sei. Während ich die enge Pforte passiere und der Anblick des gewaltigen Kirchenschiffs mich überwältigt, sagt mir die Stimme, dass der Anblick des gewaltigen Kirchenschiffs überwältigend sei. Sicher, das mag zweckmäßig sein. Aber was fehlt, ist das

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