Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Worte «Isch widersage!», Frau Antje Birgit muss an die Bibel, an Jesus Christus und an siebenhunderttausend Heilige glauben, und ja, Frau Antje Birgit glaubt aus tiefstem Herzen und schmettert inbrünstig «Isch klaube!» in die kirchliche Halle. Es folgen die Fürbitten, das Hochgebet und das Vaterunser, und nach weiteren fünf Liedern und zwei Chorgesängen ergießt sich der Abend für Frau Antje Birgit und alle anderen im erlösenden «Halleluja» aus dem Oratorium «Der Messias» von Georg Friedrich Händel.
Nach dieser Überdosis Katholizismus bin ich wohl für immer vom Glauben geheilt. Mein Verhältnis zur Religion bleibt aber schizophren: Einerseits lehne ich sie ab, andererseits fasziniert sie mich fast so sehr wie die Liebe. Ich habe mit vielen Geistlichen auf dieser Welt darüber diskutiert, alle sagen mir dasselbe: Es kommt der Punkt in deinem Leben, da wirst du dich für eine Konfession entscheiden müssen. Ob dieser Tag ausgerechnet heute ist? Ich bin etwas perplex, als ich einen Anruf von der katholischen Kommandobrücke bekomme. Der Dompfarrer Matthias Bender höchstpersönlich hat von meinem Canossa-Gang erfahren und möchte mich gerne kennenlernen. Er klingt am Telefon sogar sehr lustig: «Herr Gastmann, Sie erkennen mich an meinem Schnauzer!»
Dass er damit seinen Hund meinte, wird mir erst in allerletzter Sekunde klar. Er, also der Hund, ist ein treues schwarzes Wollknäuel mit Knopfaugen und äußerst ausgeprägtem eigenen Willen. Mal ist er das liebste Tier unter der Sonne, mal setzt er sich einfach mitten auf die Straße, und nur ein Leckerli oder rohe Gewalt kann ihn vom Fleck bewegen. Ein echter Pfälzer eben. Sein Herrchen könnte locker als Zwillingsbruder von Rainer Brüderle durchgehen, wirkt jedoch jünger, aufgeweckter und wesentlich fitter. Ich treffe Herrn Bender am Domnapf. Diese steinerne Schüssel vor dem Hauptportal der Kirche wird mit 1580 Litern Wein gefüllt, wenn es einen neuen Bischof gibt oder der Dom Geburtstag feiert. Früher schnitt man hier den Gotteslästerern die Zunge heraus.
Der Pfarrer erscheint unbewaffnet. Er kommt gerade von einem Trauergespräch. Eine junge Frau ist nach langer Krankheit verstorben, seit vier Jahren schon konnte sie nicht mehr sprechen, und ihr Mann hat sie bis zum allerletzten Atemzug gepflegt. «Das sind die Momente, in denen sich die Menschen wieder an ihren Glauben erinnern», sagt Herr Bender. Nach solchen Terminen gehe er am liebsten zu Fuß, um den Kummer abzuschütteln und sich im Denken zu üben. Mindestens eine Stunde am Tag, mindestens einen Tag in der Woche und mindestens eine Woche im Jahr. Sorgen hat der Pfarrer schließlich genug – er ist Fan des 1. FC Kaiserslautern und des 1. FC Köln. Bender ist alles andere als ein Provinzpriester. Der Mann hat Philosophie und Theologie in Rom studiert, war Messdiener unter Papst Paul VI., hat die letzte Audienz von Johannes Paul I. besucht und nach der Priesterweihe zwei Messen mit Johannes Paul II. gefeiert.
Ich habe Lust, ihn zu provozieren. Was er denn von den Kinderschändern in seinem Laden halte, frage ich, und der Pfarrer kann meine Wut verstehen. Ja, auch die katholische Kirche sollte vielleicht den Gang nach Canossa antreten, meint er. Das imponiert mir. Wir gehen ganz unpfälzisch ein Bier trinken und diskutieren über Schicksal, Tod und Wiedergeburt – Letzteres stelle ich mir übrigens vor wie bei Super Mario: Hat man genügend Punkte gesammelt, kommt man ein Level weiter.
«Würden Sie denn auch sagen, dass ich mir eines Tages eine Religion suchen muss?»
«Welche gefällt Ihnen denn?»
«Der Katholizismus nicht. Mir ist das Risiko zu hoch, in die Hölle zu kommen. Oder haben Sie die abgeschafft?»
«Nein, die gibt es noch. Aber Sie dürfen hoffen, dass die Hölle leer ist.»
«Wieso das?»
«Gott vergibt allen Sündern!»
«Auch Adolf Hitler?»
«Na ja, vielleicht ist die Unterwelt nicht ganz unbewohnt.»
Letztens hat Herr Bender eine Predigt mit Endzeitwitzen gehalten. Sein Favorit: Ein Bischof klopft an der Himmelspforte und erschrickt, als der Teufel ihm öffnet. «Was machen Sie denn hier?», fragt der Geistliche. «Ist das nicht das Himmelstor?» – «Richtig!», antwortet Luzifer. «Wir haben fusioniert!»
«Katholische Sünder haben es doch ziemlich leicht», sage ich, «die beten zwei Ave Maria und einen Rosenkranz, und schon ist alles wieder gut.»
«Oh, Herr Gastmann, es gibt viele Formen der Buße: Gebet, Fasten, Almosen. Manche gehen auch zu Fuß
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