Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
sehen. Vielleicht traut er sich auch nicht mehr. Mit Anzug und Krawatte steht er am Meer und sieht diabolisch lächelnd in die Ferne, graue Strähnchen im Haar, die Sonne im Gesicht. Es wirkt, als wisse er schon, dass diese Wahl ihn weit weg an ein anderes Ufer tragen wird, womöglich ins Exil nach Elba. Der Ausdruck verrät aber auch, dass Napoleon insgeheim schon seine triumphale Rückkehr plant.
Jemand drückt mir einen blau-weiß-roten Flyer in die Hand: «Cinq raisons de voter pour Nicolas Sarkozy», fünf Gründe, Sarkozy zu wählen:
Ich wähle Sarkozy, weil er international respektiert wird.
Ich wähle Sarkozy, weil er die Staatsschulden senkt und die Arbeitslosigkeit bekämpft.
Ich wähle Sarkozy, weil ich keine Gesellschaft will, in der die Kultur der Entschuldigung die Strafe ersetzt.
Ich wähle Sarkozy, weil er die Bürgerrechte stärkt und verhindert, dass Ausländer wählen dürfen.
Ich wähle Sarkozy, weil er den Menschen vertraut.
Würden nicht Wasser und Wind wie ein gigantischer Hochdruckreiniger durch die Straßen fegen, vielleicht wäre Nicolas Sarkozy längst vorbeikommen und hätte manche Viertel von Besançon persönlich «ausgekärchert» – um in der Sprache des Law-and-Order-Präsidenten zu bleiben. Außerhalb des historischen Zentrums ähnelt die Stadt jeder beliebigen größeren Stadt: Häuserblöcke, Graffiti, Kindergärten im Container. Presslufthämmer schlagen durch die Asphaltdecke, Baumaschinen pflügen den Boden, Bagger schaufeln Sand aus der Tiefe, Plätter plätten alles wieder platt.
Alexandra Blachère wohnt im Erdgeschoss eines verwaschen ockergelben Hochhauses in der Rue Georges Clemenceau. Zwei Kinder toben im Flur, ein drittes schreit aus einem hinteren Zimmer. «Désolé», sage ich, «es tut mir wirklich leid», als ich durchgefroren und triefend nass ihre Wohnung betrete. Zwischendurch war der Dauerregen in feuchten Schnee und Hagel übergegangen. Am Telefon hatte ich sie nach ihrem Büro gefragt, aber Madame Blachère bat mich gleich zu sich nach Hause. «Voilà, Monsieur, DAS ist mein Büro», sagt sie und führt mich in ihr kleines Wohnzimmer. Der Raum ist zweigeteilt. Auf der rechten Seite der Fernseher, eine Spielkonsole, der Couchtisch und ein beige-rotes Ecksofa vor einer Fototapete. Motiv: Malediven im Abendrot. Die linke Seite wird ganz von einem Schreibtischmonster okkupiert, auf dem sich wüst Akten, Rechner und mehrere Computertastaturen stapeln. Davor steht eine Lidl-Tüte, ebenfalls voller Unterlagen. Auf der Heizung blinkt ein WLAN-Router neben dem schnurlosen Telefon und einem weihnachtlichen Familienfoto.
Für mich ist es ein klassischer Interviewtermin. Schon vor Monaten hatte ich von Alexandra Blachère gelesen, und der Journalist in mir wollte sie unbedingt kennenlernen. Dass sie sich wirklich Zeit für mich nehmen würde, hätte ich nie geglaubt. Alexandra bittet mich an einen Glastisch und bringt Kaffee. «Da, wo Sie jetzt sitzen, hat schon die gesamte französische Presse Platz genommen», erzählt sie stolz, «alle Zeitungen, alle Magazine, alle Fernsehsender. Und dann kam die ganze Welt zu Besuch. Die Schweden, die Belgier, sogar die Chinesen!» Allerdings hat schon lange kein Chinese mehr an diesem Tisch gesessen. Die Medien sind weitergezogen und stürzen sich nun auf die Präsidentschaftswahlen. Nichts ist so alt wie die Schlagzeilen von gestern.
Wie soll ich Madame Blachères Geschichte erzählen? Ein körperliches Merkmal hat sie berühmt gemacht. Nicht ihre zierliche Figur, nicht ihre tiefdunklen Augen, sondern ihre Oberweite. «Nach den drei Geburten hingen die Dinger wie nasse Lappen nach unten», sagt sie und fasst sich an ihren auffällig großen Busen. «Da war nichts mehr, nur noch Haut. Das hat mich so frustriert. Ich musste einfach etwas ändern.» Diese Änderung war teuer. 3240 Euro legte sie auf den Tisch – für zwei Silikonkissen und zwei lange Schnitte an den Unterseiten ihrer Brüste. Noch nie hatte sie so viel Geld auf einmal ausgegeben, selbst das Auto war billiger. «Aber es war nicht nur ein ästhetischer Eingriff», sagt Alexandra, «sondern eine Operation für meinen Kopf. Wissen Sie, die meisten Frauen mit künstlichen Brüsten sind keine Sexbomben. Das ist ein Klischee. Ich wollte einfach wieder glücklich sein.»
Alexandra fand jedoch bald heraus, dass man ihr billiges Industriesilikon in die Brust gefüllt hatte, das sonst nur für Reifen, Drucker oder Matratzen verwendet wird. Die Substanz ist so aggressiv,
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