Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Fahrstuhls. Wieder muss ich mein Gepäck selbst tragen, doch warum sollte ich mich beschweren? Monsieur Gastmann ist nicht der Sultan von Brunei und hat nur den «Executive Room» gebucht. Ein Schnäppchen: 399 Euro exklusive Frühstück.
«Was würde das Frühstück denn kosten?»
«Das Buffet liegt bei siebenundvierzig Schweizer Franken, Monsieur.»
«Oh. Und gibt es eigentlich noch die Badewanne von Barschel?»
«Bedaure, Monsieur, das war weit vor meiner Zeit. Aber wir haben renoviert.»
Der Lift öffnet sich im vierten Stock. Von hier oben wirkt das Atrium mit seinen weißen Balustraden, den Fresken und Statuen so bombastisch wie das Innere einer Kathedrale. Über den violetten Teppich und durch einen langen Gang schieben wir uns zu meinen Gemächern, Zimmernummer 408. Die Tür geht auf, und ich folge der Hotelangestellten in einen weitläufigen Flur mit hohen Decken, zwei Leuchten aus geschliffenem Glas malen ein Blumenmuster auf die cremefarbenen Wände. Die Minibar im Eingang ist hervorragend sortiert – Champagner, Gin, Wodka, Cognac, fünf Sorten Whiskey: Johnny Walker Red Label, Johnny Walker Black Label, Jack Daniel’s Bourbon, Aberlour Single Malt, Glenmorangie.
Hinter der ersten Tür auf der linken Seite befindet sich das WC, hinter der zweiten das Bad, und über eine dritte erreichen wir den Hauptraum, in dem Gold- und Terrakottatöne harmonieren. Zwei Sessel, ein Schreibtisch, sechs Kopfkissen in verschiedenen Größen und Härtegraden auf dem Kingsize-Bett. Die Lichtschalter sind goldumrandet, genau wie die Knöpfe der Konsole auf dem Nachttisch, mit der ich wie ein König die Jalousien, die Klimaanlage und das «Do not disturb»-Zeichen an der Tür kommandieren kann. «Das gibt es nicht, man kann von hier aus sogar das WC steuern!», frohlocke ich. «Das Licht auf dem WC, Monsieur», antwortet die Dame und lässt mich allein. Ich beginne einen Siegestanz. Wie ein kleiner Junge hüpfe ich durch mein protziges Kinderzimmer, singe «Monsieur Gastmann ist zu Gast im Beau-Rivage! Monsieur Gastmann ist zu Gast im Beau-Rivage!» und lasse mich krachend auf meine royale Schlafstätte fallen.
Der Manie folgt die Depression. Das Edelhotel ist meine letzte Tankstelle vor der Wüste, morgen muss ich in die Alpen ziehen. Das macht mir Sorgen. Ich schiebe die schweren Vorhänge zur Seite und möchte frische Luft in den Raum lassen. Am Fenstergriff hängt ein Hinweis in sieben Sprachen:
Achtung auf Insekten
Bei warmem und feuchtem Wetter wollen Sie bitte:
– Bei brennendem Licht die Fenster geschlossen halten.
– Die Insekten mit Hilfe von Insektenpulver bekämpfen.
– Nie die Insekten auf den Tapeten zerdrücken.
Auf dem Zettel sind eine Mücke, eine Spinne und ein Käfer abgebildet. Wage ich es also, das Fenster zu öffnen, dann könnte es sein, dass eine solche Bestie unerlaubt in mein Herrschaftsgebiet vordringt. Ich gehe das Risiko ein und sehe ins Freie.
Wenn ich den Kopf nach rechts aus dem Fenster strecke, kann ich über den See und die Fontäne auf die weißen Berge blicken. Sie sind zum Niederknien schön, aber sie machen mir Angst. Die Alpen kommen mir vor wie eine Mauer, ein gigantischer, unüberwindbarer Riegel aus Eis, Schnee und Stein. Je länger ich auf die Gipfel schaue, desto tiefer sinkt meine Moral. «Du schaffst das nicht!», scheint sie mir zuzuflüstern. «Canossa ist ein Hirngespinst! Wenn du in die Alpen gehst, mein Freund, findest du nie wieder raus!» Ich denke nicht an Heimatfilme und die Melodien der Berge, ich denke an die Messner-Brüder am Nanga Parbat oder Frodo, Gandalf und Legolas im Schneesturm des Nebelgebirges. Soll ich wieder den Zug nehmen? Oder nach Italien fliegen? Damit würde ich meinen Gang endgültig ad absurdum führen. Ich bin am Jura-Gebirge gescheitert, ich will nicht schon wieder versagen.
Was hat mein Vorbild an dieser Stelle der Geschichte getan? Heinrich IV. musste den langen Umweg über Besançon und den Jura durch Burgund nehmen, weil seine Feinde, die deutschen Fürsten, alle leicht zu begehenden Alpenpässe, wie den Brenner, versperrt hatten. Unter keinen Umständen sollte der König Italien erreichen, sich mit dem Papst versöhnen und seine Krone retten. Für Heinrich gab es nur eine Chance: seine Schwiegermutter Adelheid. Die Markgräfin von Turin herrschte über Savoyen, ein Gebiet zwischen dem heutigen Frankreich, Italien und der Schweiz. Adelheid galt nicht nur als bildschön und tugendhaft, sie konnte auch kämpfen – mit Waffen
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