Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
Doping-Patronen mit einem Mix aus Koffein und Guarana. Einnahmeempfehlung: Maximal zwei Ampullen pro Tag, nicht geeignet für Kinder und schwangere Frauen, niemals mit Alkohol mischen. Für den Notfall nehme ich eine mit und stiefle zurück in mein heimeliges Beau-Rivage.
Wieder grüßt der Portier freundlich, wieder steht ein grauer Herr im Eingang, er ähnelt Donald Sutherland und trägt Janker. Sein junges Anhängsel zieht sich vor einem Spiegel der Lobby die aufgespritzten Lippen nach. Was die Herren angeht, bin ich doch etwas zu jung für dieses Etablissement. Die Frauen sind eher in meinem Alter, viele sogar jünger. Wer Einblick in die Lebenswelt dieser Leute gewinnen möchte, muss nur die schwere Schublade im Schreibtisch des Hotelzimmers aufziehen. Hier lagern fünf akkurat aufgereihte Hochglanzmagazine: ein Weinprospekt, ein Kunstjournal, die Zeitschrift «Hochedel», das «Swiss Magazine for International Premium Lifestyle und Design» und eine Immobilienbroschüre für den gehobenen Anspruch. Wie wäre es mit einer Maison aus dem 16. Jahrhundert im Zentrum von Lausanne für vier Millionen Euro? Oder lieber das exklusive Landhaus mit Pool, Sauna und Privatwald für fünf Millionen? Ironischerweise berichtet die Neue Zürcher Zeitung ausgerechnet heute über einen belgischen Abgeordneten des Europarats, der mit einer Resolution Druck auf «Steuerparadiese und jede Art von Bankgeheimnis» ausüben wollte. Leider erschienen zur Abstimmung über den Entwurf nur dreiundsechzig von dreihundertachtzehn Abgeordneten. Man hatte den Termin auf einen Freitag gelegt.
Entspannung ist in der Welt des Premium Lifestyles vergleichsweise günstig. Das Beau-Rivage bietet Massagen auf dem Zimmer schon ab zweihundert Euro an. Eine Flatrate für Erotikfilme gibt es ab fünfzig Euro pro Tag, auch hier ist das Angebot des Hotels vielfältig und erlesen: «Pussy Galore», «Bubble Butt Sluts», «Lusty Busty Lesbians». Mein Budget für diesen Tag ist allerdings ausgereizt, und zum Relaxen ziehe ich mich in das geräumige Badezimmer zurück. Ich drehe die versilberten Orient-Express-Armaturen in der Wanne auf und wähle aus dem Bouquet der edlen Duschgels und Haarwaschmittel das «Gel Moussant» und das «Shampooing Vitalité» von Clarins Paris. Dann ziehe ich mich aus, blicke in den weiten Spiegel und stelle mich auf die Waage: 78,5 Kilo. Seit Hamburg habe ich sagenhafte sieben Kilo verloren. Ich berühre meinen Bauch, auf dem sich zum ersten Mal in meinem Leben Muskeln zu bilden scheinen. Es stimmt, was die Leute sagen. Man ist immer so jung, wie man sich anfühlt.
Das Bad ist bereit, und natürlich dauert es nicht lange, bis ich in Barschel-Pose im Wasser treibe. Ich weiß nicht mal, ob es Absicht ist ober einfach passiert. Mein Körper sinkt in die Wanne, und mein Kopf liegt schlaff auf dem rechten, nach hinten angewinkelten Arm. Als ein Stern-Fotograf den damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein so fand, hätte er prüfen können, ob Barschel noch lebt. Stattdessen machte er seinen Job und schoss eines der berühmtesten Fotos der deutschen Geschichte. Was für eine Story. Das Wunderkind der CDU, ein Saubermann vor dem Herrn, manipuliert den Landtagswahlkampf, und zwei Tage vor der Befragung durch den Kieler Untersuchungsausschuss treibt er in Hemd und Hose in einer Genfer Badewanne. Es heißt übrigens, der Chef des Beau-Rivage soll die Wanne noch eine Weile auf dem Speicher aufbewahrt haben, bis sie eines Tages beim Entrümpeln spurlos verschwand. Das passt gut zur Barschel-Affäre, in der bis heute nur bewiesen ist, dass nichts bewiesen ist. Es ist nicht mal geklärt, was Barschel eigentlich in Genf wollte. Vielleicht war er auf dem Weg nach Canossa?
Auch Sissi, die Kaiserin von Österreich, erlebte im Beau-Rivage ihre letzte Stunde. Sie hatte zwar unter dem Pseudonym «Gräfin von Hohenembs» eingecheckt, doch eine Zeitung ließ ihre Tarnung auffliegen. Das besiegelte ihr Schicksal. Am Genfer See sprang der italienische Anarchist Luigi Lucheni auf Sissi zu und stach ihr mit einer angespitzten Feile direkt ins Herz. Man brachte die Kaiserin zurück in ihre Suite, wo sie wenig später starb. Und ich? Werde ich bald der nächste Tote sein? Irgendwo in der Haute-Savoie zwischen Genf und dem Mont Cenis?
Meine erste Alpenetappe morgen sei anspruchsvoll, schreibt Mischke. Ich werde die Stadt südwärts verlassen und von Collognes aus den Mont Salève besteigen. Am Gipfelpunkt «Le Grand Piton» soll ein
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