Gang nach Canossa: Ein Mann, ein Ziel, ein Abenteuer (German Edition)
und mit Worten. Als sie und Heinrich in Gex bei Genf zusammentrafen, ging es nicht um Kaffee, Kuchen oder andere familiäre Sentimentalitäten. Man traf sich zum Poker. Natürlich wusste die Gräfin, wie sehr ihr Schwiegersohn in der Bredouille war. Das nutzte sie aus. Als Preis für die Reise durch ihr Gebiet verlangte die Gräfin fünf italienische Bistümer. Nach mühsamen Verhandlungen, die Heinrich an den Rand der Verzweiflung getrieben haben sollen, überließ er der bösen Schwiegermutter eine reiche Provinz in Burgund. Der Weg über den Mont Cenis war nun frei.
Ich habe keine Großgrundbesitzer in der Familie, aber mein Aktionismus in Pontarlier, die hilflosen E-Mails vor dem Absinthrausch, waren nicht umsonst. Zwar fasst sich mein Guru überraschend kurz. Er wünscht «many, many blessings» und sorgt sich um den Rang seiner Yoga-Internetseite bei Google. Der Deutsche Alpenverein Hamburg stellt sich tot, und die meisten Wanderverbände winken gleich ab. Ein Bergführer schreibt sogar zynisch: «Tja, zurzeit sind die Alpen noch tief verschneit. Da kann es für Sie etwas ungemütlich werden, Herr Gastmann. Viel Glück.» Doch auch ich habe im alpinen Pokerspiel noch einen Joker: Marc Mischke, ein Wanderlehrer aus Radolfzell am Bodensee.
Obwohl Mischke auf seltsame Wortspiele steht, er leitet die Wanderschule «bewandert», soll er ein nüchtern kalkulierender Profi sein. Zumindest gibt mir seine Internetseite ein gutes Gefühl. Mischke leitet Workshops im Hüttentrekking und Gipfelwandern und bietet Ausrüstungs- und Schneeschuhkurse an. Er schreibt, meine seltsame Vision vom Gang nach Canossa sei ihm sympathisch, deshalb wolle er mir helfen. Für den direkten Weg über das Gebirge sei es tatsächlich viel zu früh. Überall liege noch Schnee, und die Berghütten hätten noch gar nicht geöffnet. Wenn ich aber über kleinere Pässe in niedrigen Höhen liefe und mich ansonsten von Stadt zu Stadt durch die Täler schlagen würde, könnte ich den Mont Cenis in zehn bis zwölf Tagen erreichen. Dort allerdings gehe es ohne einen professionellen Führer definitiv nicht weiter. Marc Mischke skizziert die Route und schickt mir eine Ausrüstungsliste für die Berge. Etwas Equipment solle ich mir unbedingt noch besorgen. Ob ihm klar ist, dass ich gerade in der drittteuersten Stadt der Welt bin?
Als ich das Beau-Rivage verlasse, kommt mir auf dem roten Teppich ein Greis in Tweedjacke entgegen. Eine junge Frau mit schwarzem Kurzhaarschnitt und Sommerkleid stützt ihn, während er sich die Treppe hinaufquält. Ich grüße die beiden, doch es hallt kein Bonjour zurück. Der alte Mann macht ein fragendes Gesicht, seine Begleiterin zeigt keinerlei Reaktion. Unten ist gerade eine schwarze Limousine vorgefahren. Die Türen öffnen sich, eine hübsche Brünette im Trenchcoat stöckelt heraus, und der graumelierte Fahrer lässt seine Schlüssel in die Hand des Portiers fallen. Aus dem Fond steigen zwei kleine Jungs in weißen Hosen und dunkelblauen Segelpullovern.
Das Herz von Genf ist sehr international. Leute aus aller Welt, Geld aus aller Welt. Die Eitelkeit regiert. An der ersten Fußgängerampel sind alle so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie das Drücken vergessen und sich fragen, warum kein grünes Signal kommt. Zwei schwer getunte Russinnen posieren abwechselnd vor den Schaufenstern der Luxusuhrenhändler Omega und Gübelin, drehen sich, strecken die gemachte Brust raus und setzen ein Lächeln auf, das sie zu Hause stundenlang vor dem Badezimmerspiegel geübt haben. Ein männliches Model in dunkelblauen Nadelstreifen kommt mir entgegen, an seiner Seite eine umwerfend schöne Blondine auf High Heels. Ich kenne die beiden. Sie grüßen mich seit dreißig Jahren aus den Annoncen für Chopard, Armani oder Pierre Cardin. Zwischen den Edelboutiquen von Genf vermischt sich die reale Welt mit der Realität der Werbung.
Auch die Preise kommen aus einem Paralleluniversum. Kugel Eis: drei Euro, Pizza Margherita: 19,50 Euro, Tüte Schweizer Bruchschokolade: 35,60 Euro. Und für ein kleines Vermögen kaufe ich in einem Sportgeschäft meine Alpenausrüstung: Teleskop-Wanderstöcke für die An- und Abstiege, Gamaschen gegen die Nässe, eine Sonnenbrille gegen das Höhenlicht und eine Thermoskanne. Mischke meint, ich brauche auf den letzten Etappen mindestens zwei Liter kalte Flüssigkeit und einen Liter heiße Flüssigkeit täglich. An der Kasse entdecke ich noch etwas Besonderes. «Sudden Rush» – kleine schwarze
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