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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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zweiundzwanzig Jahren zusammen … « – ›Zwanzig, Ernestito, zwanzig, auch wenn du es nicht glaubst‹, sagte ich innerlich zu mir, verbesserte ihn aber nicht, das wäre in diesem Moment irgendwie unpassend gewesen. »Du und Lali, ihr seid für mich das Wichtigste auf der Welt«, sagte er mit Tränen in den Augen. Ich drückte seine Hand und antwortete: »Ich weiß, Ernesto, ich weiß.« – »Wenn ich dich irgendwie aus der Sache raushalten könnte, würde ich es tun, ich schwöre es dir.« – »Ernesto, du kannst dich immer auf mich verlassen, glaub mir.« – »Darum geht es nicht, es geht darum, dass es dir wehtun wird, und das möchte ich nicht.« – ›Schätzchen, lass es ruhig ein bisschen wehtun, Hauptsache, wir bringen es hinter uns‹, dachte ich und sagte: »Ernesto, ich komme dir vielleicht schwach vor, aber eigentlich bin ich stark, sehr stark sogar! Außerdem stehe ich immer an deiner Seite, Ernesto.« – »Danke, Liebling!« Er hatte Liebling gesagt! Das war noch nie vorgekommen, nicht einmal, als er mich zum ersten Mal ins Bett kriegen wollte. Das höchste der Gefühle war »Ich auch« gewesen – als Antwort auf mein »Ich liebe dich«. »Komm schon, Ernesto, sag ›Ich auch‹«, bettelte ich jedes Mal resigniert in den ersten Jahren, die wir zusammen waren. Später gewöhnte ich mich an sein Schweigen. Ernesto war von Natur aus ziemlich wortkarg. Deshalb brauchte er auch so lange, bis er sich dazu durchgerungen hatte, mir das mit der Deinen zu erzählen. »Das, was ich dir erzählen werde, soll aber auf keinen Fall die Erinnerung an all die glücklichen Jahre beflecken, die wir zusammen verbracht haben.« – ›Keine Sorge, die Flecken habe ich längst beseitigt, dachte ich und sagte nichts. »Ich … du kennst doch Alicia, meine Sekretärin, oder?« – »Na sicher.« – »Inés, nimm es nicht so schwer, aber, also Alicia und ich … « – »Was ist mit dir und Alicia?« – »Wir haben eine ziemlich komplizierte Geschichte durchgemacht … « – »Ernesto, rede nicht so lange herum, sondern sag, was du zu sagen hast, ich bin auf alles gefasst.« Ernesto atmete tief durch, sah mir noch tiefer in die Augen und sagte: »Alicia hat mich sexuell belästigt!« Am liebsten hätte ich laut gelacht. »Das gibts doch nicht«, sagte ich. »Doch, so traurig es ist. Ich wollte dir nie davon erzählen, aber ich hab eine ganz schön schlimme Zeit durchgemacht.« – »Das kann ich mir vorstellen … « – »Das wünsche ich wirklich niemandem.« – »Ich auch nicht.« Zuerst war ich wütend, weil er mich anlog, aber dann dachte ich, vielleicht stimmt es ja, schließlich hatte ich nur Briefe von der Deinen an Ernesto gefunden, ob – und wenn, was – er ihr darauf geantwortet hatte, wusste ich nicht. Und das mit den Tickets nach Rio musste ihre Idee gewesen sein, das hatte ich mir selbst gesagt. Fast hätte ich ihm also geglaubt, aber da fielen mir die Fotos wieder ein, auf die ich zusammen mit der Pistole gestoßen war. Die Nacktfotos von Ernesto. Dazu hatte sie ihn wohl kaum gezwungen. Er lächelte darauf, als würde er gerade »Cheeeeese« sagen. Wenn man erst einmal anfängt, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen, gerät man schnell auf Abwege. Genau so erging es mir in diesem Moment. Denn dass Ernesto mich anlog, daran konnte es keinen Zweifel geben. Wichtig war jedoch, warum er mich anlog. Ernesto log mich an, weil er mich liebte, so einfach war das. Weshalb hätte er mir auch von einer Affäre erzählen sollen, die längst der Vergangenheit angehörte? Ernesto ist ein wunderbarer Mann, dachte ich. Keiner von den Kerlen, die sich anderswo ausleben, ihre Schuldgefühle dann aber zu Hause abladen: »Liebling, ich kann dir nichts vormachen, ich muss es dir einfach sagen, ich bin mit deiner besten Freundin ins Bett gegangen.« – »Kannst du mich nicht wenigs tens anlügen, du Miststück, oder bin ich dir nicht einmal so viel wert?«, hätte ich zu solch einem Widerling gesagt. Eindeutig: Ernesto war kein Widerling. Ernesto war ein feiner Kerl, er log mich an, nahm die Schuld ganz allein auf sich, stand dafür ein, wie es sich gehört. »Wenn nicht so etwas Schreckliches passiert wäre, hätte ich dir nie davon erzählt.« – »Mach mir keine Angst, Ernesto … « Meine Antwort gefiel mir, ich glaube, sie passte perfekt zur Situation. »Du weißt doch, dass mich gestern Abend jemand angerufen hat. Danach musste ich dann ja nochmals weg.« – »Ja.« – »Das war sie. Sie hat gesagt, wenn ich

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