Ganz die Deine
gelesen.«
»Wie bist du denn an die gekommen?«
»Die waren in der Garage, in dem Versteck von meiner Mutter.«
»Das heißt, sie weiß Bescheid.«
»Und sie tut, als merkt sie nichts. Die ist noch viel schlimmer als er.«
»Na super.«
»Total widerlich.«
»Und du hattest Angst, dass dein Vater was mitkriegt … «
»Total bescheuert.«
»Dann erzähl es ihm doch!«
»Wozu?«
»Damit er dir wenigstens Geld gibt, das brauchst du schließlich.«
»Sein Geld kann er sich sonst wohin stecken.«
» … «
» … «
»Und sonst ist alles ganz normal bei euch?«
»Ja, total die Heuchler. Schlafen in einem Bett, alles, was du willst.«
»Und vögeln tun sie auch?«
»Was weiß ich.«
»Also ich finde, da muss man ganz schön hart drauf sein, um mit einem zu vögeln, wenn du weißt, der vögelt nicht bloß mit dir … «
» … «
»Entschuldige, natürlich ist er dein Vater, aber es stimmt doch, oder?«
»Bei meiner Mutter wundert es mich überhaupt nicht, aber mein Vater … Das hätte ich nie gedacht.«
»Die sind doch alle so, dir sagen sie, wie man es machen soll, und selber tun sie, wozu sie Lust haben.«
»Das mache ich jetzt auch.«
»Genau, tu, wozu du Lust hast, und lass dich von denen bloß nicht verarschen.«
» … «
»Hast du das Geld jetzt?«
»Ich weiß noch nicht, was ich machen soll.«
»Also, ich leih dir jedenfalls so viel, wie ich gesagt habe.«
»Ich weiß noch nicht, was ich mache.«
»Viel Zeit bleibt dir nicht.«
»Das weiß ich selbst.«
16
Ernesto begleitete Charo zum Lift. Er sah sich im Gang um, und als er sich vergewissert hatte, dass niemand in der Nähe war, küsste er sie. Das war der reine Wahnsinn, hätte Inés etwas mitbekommen, wäre die Hölle los gewesen. Trotzdem tat er es. Charo machte sich wütend von ihm los. Doch nicht hier und jetzt! Sie war aufgeregt. Die Sache war komplett schief gegangen. Sie drückte mehrere Male auf den Aufzugknopf. Die Tür öffnete sich. Sie betrat den Lift. Während die Tür sich wieder schloss, sah sie Ernesto an, sah ihn einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen.
Ernesto ging zurück ins Büro. Es passte ihm gar nicht, dass Inés ihn dort erwartete, aber was sollte er machen, er war auf ihre Unterstützung angewiesen. Nach dem tödlichen Sturz Alicias am See hatte er geglaubt zu sehen, wie Inés in ihr Autor stieg und davonfuhr. Vielleicht hatte er sich das ja auch nur eingebildet, was kein Wunder wäre bei dem Zustand, in dem er sich damals befand. Aber ihr Benehmen am nächsten Morgen verriet ihm, dass es sich keineswegs um Einbildung gehandelt hatte: Inés war offenkundig dort gewesen und hatte alles mit angesehen, daran konnte kein Zweifel sein.
Deshalb musste Ernesto auch sichergehen, dass Inés unter keinen Umständen und mit niemandem über die Sache sprach. Er musste ihr das Gefühl geben, ein Teil des Ganzen zu sein, und zwar ein entscheidender Teil. In diesem Fall würde er sich auf sie verlassen können, todsicher, Ernesto kannte sie nur zu genau. Gefährlich wäre es dagegen, sie auszuschließen, sie zu einem funktionslosen Ersatzteil zu degradieren. Dann wäre sie imstande, die gesamte Konstruktion zum Einsturz zu bringen.
Ernesto hatte sich in seiner Einschätzung nicht getäuscht. Sobald er wieder im Büro an seinem Schreibtisch saß, stellte er fest, dass seine Frau komplett im Bilde war. Ohne Umschweife erklärte Inés ihm das Alibi. Sie hatte sich alles genau zurechtgelegt: Sie hatten zusammen einen Film angesehen, Psycho. Der lief an dem Abend, als Alicia starb, um zweiundzwanzig Uhr auf Kanal 23. Anschließend hatten sie sich ausgiebig geliebt, das Licht ausgemacht und geschlafen. Beide würden Wort für Wort die gleiche Geschichte erzählen. Dass sie sich ausgiebig geliebt hatten, war vielleicht nicht unbedingt notwendig, aber es war der Teil, der Inés am besten gefiel, und Ernesto wagte nicht, etwas dagegen einzuwenden.
Er hörte zu und dachte dabei an Charo. Er begehrte sie. Charo. In diesem Moment wäre er am liebsten bei ihr gewesen. Unfassbar, wie sich sein Leben buchstäblich über Nacht verändert hatte. Keine Woche war es her, da hatte er vorgehabt, nach Brasilien zu fahren. Mit Charo. Sie hatte es sich gewünscht. Er war zum Reisebüro gegangen und hatte Tickets bestellt. Und das – die Tickets – war der Anfang vom Ende gewesen. Ernesto hatte darum gebeten, die Tickets zu seinen Händen zu schicken, aber sie waren bei Alicia abgegeben worden, seiner Sekretärin, die sonst alle
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