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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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sich nicht vermeiden, natürlich nicht, aber es versetzte ihm einen schmerzhaften Stich, wie alles, was geschehen war und wovon sie keine Ahnung hatte und was sie auch nie erfahren durfte. Er wünschte sich, sie wäre wieder das kleine Mädchen, das Hoppehoppe-Reiter spielen will und sich zum Einschlafen ein Gutenachtlied vorsingen lässt. Aber seine Tochter war inzwischen siebzehn Jahre alt. Und dafür, dass alles noch einmal von vorne anfangen könnte, war zu viel geschehen, den Traum konnte er sich aus dem Kopf schlagen.
    Leise betrat er das Schlafzimmer. Auf seinem Kissen lag ein zweiter Zettel mit der Aufschrift »Weck mich, wenn du da bist«. Daneben eine Praline und eine Videokassette. Psycho. Ernesto versuchte, so sanft wie irgend möglich ins Bett zu gleiten. Vorsichtig drehte er sich in seine gewohnte Schlafposition und wartete. Dann zog er die Decke hoch und schloss die Augen. Er bildete sich ein, er habe es geschafft. Aber da hatte er sich getäuscht.
    »Schläfst du, Erni?«, fragte Inés.

17
    Fotokopierte Zusammenfassung eines Beitrags aus einer mexikanischen Fachzeitschrift für Rechtsmedizin, Titel: »Die Abfassung des Autopsieberichts unter besonderer Berücksichtigung der Totenstarre-Problematik«. In den vorliegenden Kopien sind keine Randbemerkungen zu verzeichnen; stattdessen wurden einzelne Wörter oder Absätze mit grünem Leuchtstift markiert.
    Nach Eintritt des Todes sinkt die Körpertemperatur über einen Zeitraum von zwölf Stunden kontinuierlich um je ein Grad pro sechzig Minuten.
    In den darauf folgenden zwölf Stunden verlangsamt sich die Geschwindigkeit der Temperaturabnahme um nahezu fünfzig Prozent. Befindet sich der Leichnam unter Wasser, schreitet die Abnahme der Körpertemperatur wesentlich rascher voran. (Absatz farbig markiert)
    Anhand des Auskühlungsgrades des Körpers sowie der Ausbreitung der Totenstarre resp. -flecken lassen sich Rückschlüsse auf den Zeitpunkt des Todeseintritts ziehen.
    Der rigor mortis – auch bekannt als Totenstarre – ist das Ergebnis eines chemischen Vorgangs: Der vormals saure Zustand im Körperinneren wandelt sich in einen alkalischen um, was eine fortschreitende Anspannung der Muskeln zur Folge hat. Die Starre tritt zuerst an den Augenlidern auf und erfasst von dort in absteigender Bewegung das Gesicht, den Rumpf und zuletzt die Beine.
    Ist die Totenstarre so weit fortgeschritten, ist die Unbeweglichkeit des Leichnams durchaus derjenigen eines Baumstamms vergleichbar. (Das Wort ›Baumstamm‹ farbig markiert) Dieser Zustand ist jedoch nicht von unbegrenzter Dauer: Er hält bis zu zwei Tagen an, dann lässt die Anspannung der Muskeln nach, und zwar in der gleichen Reihenfolge wie zuvor bei der Ausbreitung der Totenstarre: Die Entspannung beginnt folglich bei den Augenlidern, erfasst anschließend das Gesicht, den Rumpf und zuletzt die Beine.
    Dem vorausgehend setzt die Bildung der sog. livores mortis, bzw. Leichenflecken, ein, die einen wichtigen Faktor zur Bestimmung der Todeszeit darstellen. Sobald das Herz zu schlagen aufhört und damit der Blutkreislauf unterbrochen wird, bewirkt die Schwerkraft ein Absinken der roten Blutkörperchen in die tiefer gelegenen Köperteile. Aus diesem Grund kommt es ungefähr dreißig Minuten nach Eintritt des Todes in den entsprechenden Körperregionen zu erhöhten Farbkonzentrationen. Im Falle eines Todes durch Vergiftung ist eine intensive Verfärbung die Folge; bei Verwendung von Zyanid ist jedoch lediglich ein leichter Rosaton festzustellen. Wurde der Tod durch die erhöhte Aufnahme von Kohlenmonoxid verursacht, weisen die tiefer liegenden Körperpartien wiederum eine leuchtend rote Färbung auf.
    All dies ist nicht in gleichem Maße gültig, wenn der Leichnam erst längere Zeit nach Todeseintritt aufgefunden wird. In einem solchen Fall muss darüber hinaus der Zustand des Körpers in Zusammenhang mit dem Ort betrachtet werden, an dem er sich während dieser Zeit befunden hat. (Absatz farbig markiert)
    Handelte es sich hierbei um einen warmen, trockenen Ort, ist die Folge weniger ein Zerfall des Gewebes als vielmehr dessen Austrocknung. So etwa bei unter Parkett oder im Inneren von Schränken liegenden Körpern. Sind solche Orte ausreichend belüftet, erfolgt die Austrocknung innerhalb kurzer Zeit. Die Leiche schrumpft – vergleichbar der Umwandlung von Weintrauben in Rosinen. Die Gesichtszüge der Verstorbenen bleiben dabei auch nach vielen Jahren erkennbar.
    Unter freiem Himmel oder nur wenig unterhalb

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