Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
Vom Netzwerk:
der Erdoberfläche durchläuft eine Leiche einen rascheren Zerfallsprozess. Derlei feuchtwarme Umgebungen sind der Vermehrung und Ausbreitung von Bakterien förderlich. In tiefer liegenden Grabstätten mit entsprechend niedrigerer Luftzirkulation entwickeln sich Bakterien nicht in gleicher Weise, was zu einer Verlangsamung des Zersetzungsprozesses führt.
    Jüngere wie auch übergewichtige Leichen zerfallen schneller, Grund hierfür sind die höheren Fettanteile.
    Was geschieht jedoch mit einem Leichnam im Wasser? (Absatz farbig markiert)
    Beim Fund einer Wasserleiche erfolgt zunächst, unabhängig von weiteren Spezifizierungen, die Abklärung, ob der Tod durch Ertrinken oder durch Erfrieren nach längerem Aufenthalt in kaltem Wasser eingetreten ist oder aber bereits vor dem Sturz – mit oder ohne Fremdeinwirkung – ins Wasser eingetreten war. Bei einem Tod durch Ertrinken sind die Lungen stark aufgebläht, und im Magen befindet sich Wasser.
    Der Zerfallsprozess verläuft jedoch ungeachtet der im vorangehenden Absatz aufgeführten unterschiedlichen Todesursachen bei allen Wasserleichen ähnlich bzw. in einer deutlich anderen Weise als bei in der Erde oder an der Luft verwesenden Leichen. Hierbei sind mehrere Aspekte zu beachten: 1. Die Auskühlung der Leiche erfolgt im Wasser innerhalb weniger Stunden. 2. Die Leichenfärbung weist einen deutlich anderen Charakter auf Die Haut der Leiche ist von anormaler Blässe; zudem präsentiert sie sich als so genannte Gänsehaut, also mit aufgerichteten Haarfollikeln. 3. Die Leichenstarre wiederum setzt später ein, wird andererseits aber auch erst mit deutlicher Verzögerung wieder aufgelöst: Eine Wasserleiche kann bis zu sechsundneunzig Stunden im Zustand der Totenstarre verbleiben.
    Mit fortschreitender Zersetzung kommt es im Unterleib der Leiche zur Bildung eines beträchtlichen Gasvolumens. Dies wiederum führt frühestens nach zwei Tagen im Wasser zum allmählichen Aufsteigen des Körpers an die Wasseroberfläche. (Absatz farbig markiert)
    Ausnahmen hiervon sind Leichen, die durch Algen oder Gegenstände am Grund fixiert sind. (Absatz farbig markiert)

18
    »Ich werde dich vermissen, Liebling.«
    »Schon gut, Papa. Ich muss jetzt einsteigen.«
    »Pass auf dich auf, Lali. Zieh dich immer warm an und iss ordentlich!«
    » … «
    »Mama betet dafür, dass du gesund wieder heimkommst.«
    »Seit wann hast du es denn mit dem Beten?«
    » … «
    »Egal, was ist, du kannst uns jederzeit anrufen. Zu Hause oder bei mir im Büro, wo auch immer.«
    »Okay. Ciao!«
    »Halt – krieg ich keinen Kuss?«
    » … «
    »Ciao! Mama hat dich ganz fest lieb!«
    »Pass auf dich auf, meine Liebe. Und sei vernünftig!«
    »Was meinst du mit ›vernünftig‹, Papa?«
    »Dass du dich anständig benehmen sollst und so … «
    »Dich habe ich nicht gefragt.«
    »Nichts, Liebling, du sollst bloß keine Dummheiten anstellen, dich auf nichts Gefährliches einlassen, keine Ahnung, weiß auch nicht, was ich damit sagen wollte.«
    »Dann sag nächstes Mal lieber nichts.«
    » … «
    » … «
    »Krieg ich noch einen Kuss?«
    » … «
    »Ciao, Lali.«
    »Ciao, mein Liebling.«
    » … «
    » … «
    » … «
    »Mein Gott, warum ist sie bloß immer so aggressiv?«
    »Sie ist nervös, Inés, das ist alles.«
    »Sie ist aggressiv. Wie komme ich nur zu so einer aggressiven Tochter?«
    »Jetzt wink schon, komm, und mach nicht so ein Gesicht, sie sieht doch aus dem Fenster.«
    »Ciao, Liebling, viel Spaß!«
    »Ciao, meine Liebe, und pass auf dich auf.«

19
    Fünf Monate später
    Die Sache lief ziemlich gut. Die Leiche der Deinen war immer noch nicht aufgetaucht, und das führte zu einer völlig unvorhergesehenen Situation: ohne Leiche kein Mord und natürlich auch kein Mörder. Nicht einmal ein Unfall. Stattdessen die absurdesten Spekulationen über die möglichen Hintergründe von Alicias Verschwinden, an denen Ernesto und ich uns in der Gegenwart anderer beteiligten, indem wir uns vollkommen ahnungslos stellten. Tag für Tag führten wir diese Komödie auf, bei der wir uns nicht den kleinsten Versprecher leisten durften. Ich ging dermaßen in meiner Rolle auf, dass ich sie, selbst wenn ich allein war, nicht ablegte. Das ging so weit, dass ich mich eines Tages beim Duschen bekümmert fragte: »Was mag bloß der armen Alicia zugestoßen sein?« Im selben Moment begriff ich, dass ich meine Sache hervorragend machte. Aber ich probte ja auch schon seit Monaten. Manchmal glaubte ich, bald verrückt zu

Weitere Kostenlose Bücher