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Ganz die Deine

Ganz die Deine

Titel: Ganz die Deine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Piñeiro
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ins Visier nahmen, kurz bevor sie ins Auto stieg: ihre Brüste! Genau die Art Brüste, die ich nicht ausstehen kann. Rund, fest, stolz. Junge Brüste. Wie ich sie, auch als ich jung war, nie hatte. Mama ebenso wenig. Deshalb hasste Mama auch die weit verbreitete Ansicht, perfekte Brüste passten genau in ein Sektglas – selbstverständlich ein rundes und kein lang gezogenes. Oder sind die lang gezogenen für Cidre? Wie auch immer, als Mädchen träumte ich davon. Ich versuchte, die Größe meiner Brüste zu schätzen, genau Maß zu nehmen traute ich mich nicht. Ich hatte Angst, die Gläser würden sich an meinen Brüsten festsaugen und ich bekäme sie nicht mehr ab. Der typische Blödsinn, auf den man kommt, solange man unschuldig ist. Heute bin ich mir meiner Beschränkungen bewusst: Meine Brüste würden diese Probe nicht bestehen. Die von Charo mühelos.
    Ich schlug mir das Thema Brüste aus dem Kopf. Stattdessen zappte ich mich durch alle möglichen Nachrichtensendungen und stieß überall auf die gleiche Meldung vom »rätselhaften Verschwinden der Tochter von Doktor Soria«. Auf einmal tat mir die Deine leid. Nicht weil sie tot war. So ist das Leben, der eine kommt zur Welt, der andere stirbt. Niemand weiß, wann er an die Reihe kommt, aber an die Reihe kommt jeder irgendwann. Leid tat mir, wie alle von ihr sprachen: Alicia war auch jetzt noch nicht mehr als »die Tochter von Doktor Soria«. Natürlich konnte sie vor der Öffentlichkeit nicht »die Deine« sein. Im Vergleich damit hatte ich das Recht auf meiner Seite: Die Bezeichnung »Biancas Tochter« wurde ich los, indem ich »Ernestos Frau« wurde. Und so heiße ich wirklich gern, darauf gründet sich mein Platz auf dieser Welt. Mein eigenes Territorium. Außerdem ist es gut, wenn die anderen wissen, dass du nicht allein lebst, dass es einen Mann gibt, der dich beschützt, dass dir jemand hilft, wenn dein Auto einen Platten hat. Die Gesellschaft ist nun mal machistisch, ob man will oder nicht. Deshalb bestand Mama darauf, »die Witwe Lamas« genannt zu werden, obwohl Papa quicklebendig in einem anderen Teil der Welt umherspazierte.
    Ich musste Ernesto unbedingt mitteilen, dass das Verschwinden der Deinen öffentlich bekannt gegeben worden war. Aber besser nicht am Telefon. Nichts ist leichter in diesem Land, als fremde Gespräche zu belauschen. Schließlich hatte ich selbst von dem verhängnisvollen Rendezvous von Ernesto und der Deinen erfahren, indem ich zum Telefon griff. Und wenn man erst an all die angezapften, abgehörten, mitgeschnittenen Telefonate denkt … Ich rede am Telefon immer bloß irgendwelchen Blödsinn. Bei dem Thema »die Deine« war dagegen größte Vorsicht angesagt. Außerdem, was war schon dabei, zu Ernesto ins Büro zu fahren, um ihm unter vier Augen Bericht zu erstatten?
    Als ich ankam, telefonierte die Empfangsdame gerade, und ich ging ohne stehen zu bleiben an ihr vorbei zum Lift. In Ernestos Stockwerk stieg ich aus. Seine Sekretärin war logischerweise nicht anwesend, also marschierte ich auf direktem Weg in Ernestos Zimmer. Er war nicht allein, ihm gegenüber saß eine Frau. »Entschuldigung, ich wollte nicht stören.« Die Frau drehte sich um. Es war Charo. Sie weinte. Ernesto stellte sie mir vor. Sie stand auf, wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und streckte mir die Hand entgegen. Hass auf ihre Brüste stieg in mir auf. In echt waren sie noch viel beeindruckender als im Fernsehen. Sie trug ein weißes T-Shirt, unter dem sich die Brustwarzen deutlich abzeichneten. »Das mit Ihrer Tante tut mir wirklich schrecklich leid«, sagte ich. »Hoffentlich gibt es dazu keinen Anlass«, erwiderte sie. Stinkordinär. Schließlich hatte ich mich bloß bemüht, meine Anteilnahme am Schicksal ihrer Familie auszudrücken. Manche Leute können einfach nicht anders.
    Ernesto brachte sie zum Aufzug. Ich wartete im Büro auf ihn.

15
    »Hör auf zu heulen, ich verstehe kein Wort.«
    »Ist alles total Scheiße, verstehst du?«
    »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    » … «
    »Na sag schon!«
    »Mein Vater … «
    »Du hast es ihm gesagt.«
    »Nein!«
    »Schon gut, schon gut, schrei nicht so, ich hab dir nichts getan.«
    » … «
    »Also … «
    » … «
    »Komm, hör auf zu weinen.«
    » … «
    »Lass gut sein, sag lieber, was los ist.«
    »Mein Vater hat eine Freundin!«
    »Was? Du spinnst wohl.«
    »Nein.«
    »Der tut doch immer so heilig.«
    »Er ist ein totales Arschloch.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, ich hab die Briefe von der

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