Ganz oder gar nicht (German Edition)
warm, wenn ich wieder zu Hause ankam. Obwohl meine Mutter das Fleisch dann weiterverarbeitete, hätten meine Eltern die blutige Verwandlung vom Stallhasen zum Sonntagsbraten nicht ertragen können.
Ich bin stolz auf meine Eltern. Damit meine ich nicht, dass sie seit sechzig Jahren verheiratet sind und meine Ehen damit weit übertreffen, sondern dass sie es schafften, aus wirtschaftlich bescheidenen Verhältnissen kommend zwei eigene Häuser zu bauen (später bauten sie noch für meinen Bruder) und trotzdem eine kleine Summe auf der hohen Kante zu haben. Mehr als diese Sicherheit brauchten meine Eltern nicht. Sie waren nie darauf aus, irgendetwas zu besitzen, was andere hatten, haben sich nicht vergleichen oder messen wollen. Sie haben sich auf ihr eigenes Leben konzentriert und kannten keinen Neid. Mit geringen Mitteln haben sie Enormes geleistet und sich bei alledem nach Kräften um die Familie gekümmert. Sie haben ihr Leben gemeistert, dafür bewundere ich sie. Wenn mein Bruder und ich auch zuweilen etwas rauer angepackt wurden, spürten wir doch immer eine große Liebe. Ich habe die Zärtlichkeit bekommen, die sie mir geben konnten, und ich habe mich immer behütet gefühlt. Das verdient hohe Anerkennung.
Sicher habe ich von meinen Eltern auch gelernt, mit Geld umzugehen und sehr diszipliniert für mein Geld zu arbeiten. Als Kind wurde mein Taschengeld nach dem Alter berechnet: Mit jedem Jahr gab es zehn Pfennig mehr. Mit zehn Jahren habe ich also jede Woche eine Mark bekommen. Ich weiß nicht, was andere Kinder bekommen haben, natürlich erschien es mir zu wenig. Deshalb habe ich immer auch gejobbt. Freitag und Samstag trug ich Wochen-, Mode- und Fernsehzeitschriften wie Gong, Für Sie und Burda aus. Die achtzig Abonnenten in Herzogenaurach konnten sich bei jedem Wetter auf mich verlassen. Und während der Sommerferien arbeitete ich wie selbstverständlich bei Puma, verdiente 800 bis 1000 Mark pro Monat, indem ich im Lager arbeitete, Schuhkartons sortierte und Lieferscheine zusammenstellte.
Bei all der Arbeit blieb ein klassisches Bilderbuch-Familienleben auf der Strecke. Wir vier unternahmen ab und zu einen Waldspaziergang oder bolzten gemeinsam auf dem Fußballplatz. Aber man darf sich das nicht so wie heute vorstellen, wenn sich Familien ein Wochenende lang sehr nahe sind, ausspannen und sich vergnügen. Das gab es bei uns selten. Unsere Zeitabläufe erlaubten nicht, dass man stundenlang zusammen sein konnte. Das Wochenende war zum Beispiel für mich durch mein Hobby, den Sport, besetzt. Ich spielte ja nicht nur Fußball. Ich versuchte mich auch in Tischtennis, Handball und Leichtathletik – mit 14 Jahren lief ich die hundert Meter in handgestoppten 11,2 Sekunden. Das alles passierte im Verein und war sehr zeitaufwändig. Es ging mir bei den anderen Sportarten darum, in der freien Zeit etwas Neues zu entdecken.
Ich habe selten zu Hause gesessen, Däumchen gedreht, nachmittags Fernsehen geschaut, in den Nordbayerischen Nachrichten geblättert oder ein Buch gelesen. Es standen zwar einige Fußballbücher bei mir im Regal: über Franz Beckenbauer, über Uwe Seeler oder über legendäre Weltmeisterschaften, daneben einige Karl-May-Bände mit den Abenteuern von Winnetou sowie Comics wie Fix und Foxi, Micky Maus und Donald Duck. Doch diese Auswahl zeigt schon, dass ich nie eine große Leidenschaft für Bücher entwickelt habe. In die Werke Goethes oder Schillers habe ich mein Leben lang keinen Blick geworfen. Bis heute liegt bei mir kein Buch auf dem Nachttisch. Lieber zappe ich mich vor dem Einschlafen noch einmal durch den Videotext, als ein paar Seiten zu lesen.
Das erste große Fußballereignis, an das ich mich erinnern kann, ist die WM 1970 in Frankreich. Ich habe noch das Viertelfinale in Lyon im Kopf: Deutschland besiegte England 3:2. Oder das Halbfinale gegen Italien, in dem sich Franz Beckenbauer den Arm brach. Bei solchen Anlässen scharte sich die Familie mit Salzgebäck um den Couchtisch und starrte in den ersten Farbfernseher. Ähnlich war es bei der »Sportschau«, dem »Sportstudio«, »Dallas«, »Denver« oder Unterhaltungsshows wie »Am laufenden Band«, »Drei mal neun« oder »Dalli Dalli«.
Es gab auch Zeiten, da habe ich noch gemeinsam mit meinen Eltern die »Hitparade« im ZDF gesehen. Doch beim Thema Musik schieden sich schnell die Geister. Kein Samstag verging ohne die Deutsche Schlagerparade auf Bayern3: Michael Holm, Bernd Clüver, Udo Jürgens, Peter Alexander, so etwas wurde
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