Ganz oder gar nicht (German Edition)
Vorstellung erhalten, dass jemand auf mich aufpasst und dass er das vielleicht sogar noch besser tut, wenn ich an ihn glaube. Letztlich wissen wir nicht, was wahr ist. Ich persönlich glaube, dass jemand mein Leben bestimmt und begleitet. Ich bete nicht, aber ich denke ab und zu an Ihn. Ist Er jetzt da? Schaut Er auf mich, beschützt Er mich? Natürlich bitte ich ihn auch mal um Hilfe, wünsche mir etwas, hoffe auf etwas.
Gerade in den letzten Jahren habe ich mich häufig mit der Frage ertappt: Wo bist Du? Warum hast Du mir nicht geholfen? Warum hast Du mich im Stich gelassen? Warum ist da schon wieder etwas passiert, was nicht in meiner Lebensplanung stand? Wenn ich Heiligabend dagesessen habe und mich bei den Anrufen und SMS an Freunde und Familie fröhlich stellte, suchte ich nach Antworten. Warum sitze ich jetzt schon wieder allein zu Hause, anstatt mit meiner Familie Weihnachten zu feiern? Aber ich habe keine Antwort bekommen. Vielleicht, ja, vielleicht hat der liebe Gott mir ja geholfen, mich schneller als gewöhnlich von meinen Verletzungen zu erholen – den sportlichen wie seelischen.
SPARE UND ARBEITE!
Mit zehn Jahren gab es eine Zäsur in meinem Leben: Meine Eltern bauten ihr erstes Haus. Beide kamen aus einer Generation, die Verlust und großen Mangel ertragen musste und jetzt alles daransetzte, die verlorene Sicherheit wiederzuerlangen. Von nun an wurde alles dem Hausbau untergeordnet, und selbstverständlich mussten wir Kinder mithelfen. Wir machten nicht bloß den Arbeitern die Bierflaschen auf, sondern trugen Zementsäcke und schwere Steine. Samstagmorgens um sechs hatten wir aufzustehen, um mit anzupacken. Viele Arbeiten wurden privat erledigt, um Geld zu sparen. Anderthalb Jahre dauerte die Prozedur – eine harte Zeit. Das Haus wurde am Ortsrand von Herzogenaurach errichtet, rund anderthalb Kilometer von der Fabrik entfernt. Meine Eltern leben heute noch dort – und zwar so, als sei die Zeit von damals, 1971, stehen geblieben.
Alles, was meine Eltern verdienten, steckten sie in dieses Haus. Verzicht war angesagt. Während andere Kinder sonnengebräunt aus den Schulferien zurückkamen, fuhren wir kein einziges Mal in Urlaub. Ich glaube, die weiteste Reise meiner Eltern ging nach Neuschwanstein. Als mir die anderen von ihren Erlebnissen erzählten, überkam mich durchaus das Gefühl, das auch gerne gehabt zu haben. Warum, fragte ich mich, komme ich nicht über das Zelten im Garten hinaus? Es hat finanziell einfach nicht gelangt. Zuerst haben meine Eltern für das Haus gespart, und als es endlich stand, mussten die Schulden abbezahlt werden. Die beiden waren im Gegensatz zu mir aber auch nie begierig darauf zu reisen. Zu Hause gefiel es ihnen am besten. Am wichtigsten war ihnen ein geregeltes Leben, und das haben sie bis zum heutigen Tag. Ich habe als Kind auch nie darüber geklagt, nicht aus Herzogenaurach herauszukommen. Ich wurde so erzogen, dass man Dinge akzeptiert, wenn man sie nicht ändern kann.
Mein Vater lud uns auch nie in ein teures Restaurant ein, wir beschränkten uns aufs Nötigste. Zwar herrschte nie Mangel, wir haben nie Hunger gelitten, aber meine Eltern haben immer aufs Geld geschaut. Daher wurde ich auch nie zum Friseur geschickt, stattdessen kam Giovanni zu uns nach Hause, ein Italiener, der mit der Schere umgehen konnte. Er arbeitete bei Puma und schnitt nebenbei Haare, um sich etwas dazuzuverdienen. Wann immer er in unserer Küche auftauchte, machte ich, dass ich Land gewann. Welches Kind lässt sich schon gerne die Haare schneiden? Das war ein Kampf!
Bis heute legen meine Eltern das meiste ihrer Rente beiseite – man weiß ja nie. Wahrscheinlich aus der gleichen Sparsamkeit heraus haben wir viel vom eigenen Garten gelebt. Wir pflanzten in sehr gepflegten Beeten Gemüse an: Tomaten, Erdbeeren, Bohnen, Blaukraut, Endiviensalat. Alles, was man anbauen kann, haben meine Eltern in den letzten vierzig Jahren angebaut. Außerdem hielten wir Stallhasen. Immer mal wieder, meistens an Samstagen, wurden mein Bruder oder ich gebeten, eines der Tiere zu meinem Onkel zu fahren. Also packte ich den Hasen in eine Ledertasche, so, dass der Kopf immer noch ein bisschen herausschaute, damit er atmen konnte, und radelte zu Onkel Heiner, der eigentlich der Cousin meiner Mutter war. Dort war dann Schluss mit lustig. Es gab einen Schlag auf den Hinterkopf, der den Hasen betäubte, dann schnitt Heiner ihm die Gurgel durch, zog das Fell ab und zerlegte den Hasen. Das Fleisch war immer noch
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