Ganz oder gar nicht
Gartenhandschuhe und -Werkzeug lagen auch dabei, so als habe der Gärtner gerade eine Pause gemacht und würde gleich wieder zurückkehren.
Najib nahm eine kleine Gartenschere und schnitt eine einzelne Rose ab. Dann trat er auf Rosalind zu, genau wie sie es geprobt hatten. Er reichte ihr die Rose, sie nahm sie lächelnd, roch daran und bot Najib ihren Mund. Er legte den Arm um ihre Taille und berührte ihre Lippen mit seinen.
Es war, als hätte der Blitz sie getroffen, und ihr wurde so heiß, dass Rosalind glaubte, zu brennen. Sie spürte, dass seine Armmuskeln sich anspannten, als wollte Najib sie im nächsten Moment an sich reißen, um sie wirklich leidenschaftlich zu küssen.
„Rosalind", flüsterte er an ihrem Ohr.
„Wunderschön! Fantastisch!" rief man um sie herum.
Najibs Griff wurde fester, aber schließlich ließ er sie wieder los, und sie ermahnte sich einmal mehr, daran zu denken, dass von seiner Seite alles nur Theater war. Er mochte zwar sexuell durchaus interessiert an ihr sein, aber die liebevollen Blicke und zärtlichen Gesten waren nur gespielt.
Und dann kam die Frage: „Was ist mit dem Jungen? Können wir ihn jetzt sehen?"
Wie verabredet ging Rosalind daraufhin ins Haus und holte Sam. Sie hatte allerdings darauf bestanden, dass ihm keinerlei Prägen gestellt werden durften.
„Ich werde nicht zulassen, dass er über seinen Daddy ausgefragt wird", hatte sie zu Gazi gesagt. „Es ist alles schon so kompliziert genug für ihn, ohne dass man ihm noch einredet, sein Vater sei tatsächlich wieder da."
Aber sie hatte ihre Einwilligung zu einem kurzen Fototermin gegeben, teilweise deswegen, weil Gazis Argument, dass die äußerliche Ähnlichkeit zwischen Sam und Najib sehr überzeugend wirke, ihr eingeleuchtet hatte. Doch als sie mit Sam auf den Armen in den Garten zurückkehrte, bereute sie es fast schon. Der Kleine war ganz aufgeregt und spürte offenbar, dass er im Mit telpunkt der
Aufmerksamkeit stand.
Offenbar spürte er auch noch etwas anderes.
Als sie über den Rasen ging, sank Rosalind bei jedem Schritt mit den Absätzen ihrer Pumps in den Boden, was das Gehen schwierig machte. Najib kam sofort zu ihr und nahm ihr Sam ab.
Sam und Najib waren sich am Abend zuvor noch einmal be gegnet, und mit dem instinktiven Wunsch nach einer männlichen Bezugsperson in seinem Leben war der Kleine auf Najibs Schoß geklettert und dort geblieben, ohne ein Wort zu sagen, einfach nur zufrieden damit, bei ihm sein zu können.
Jetzt ließ er sich wie selbstverständlich von Najib auf den Arm nehmen und legte ihm seine kleinen Arme um den Hals. Besser hätte es keine noch so gute Regieführung hinbekommen, die Fotografen waren begeistert.
Die Kameras klickten und surrten, doch die Reporter hielten sich an die Anweisungen, und keiner sagte ein Wort. Deshalb war es für alle deutlich zu hören, als Sam den Mann, der ihn so fest und geborgen im Arm hielt, voller Sehnsucht fragte: „Bist du jetzt mein Vater?" und Najib „Ja" antwortete.
„Oh nein! Ich wünschte, das hättest du nicht gesagt." Rosalind seufzte.
Najib hob eine Braue. „Was hätte ich tun sollen? Deinen Sohn in aller Öffentlichkeit zurückweisen?
Dann wären alle unsere Anstrengungen umsonst gewesen."
Die Pressekonferenz war vorbei, und sie waren allein. Gazi war draußen und verabschiedete sorgfältig jeden einzelnen der .Journalisten. Sam war mit seinen Freundinnen zum See spielen gegangen. Sir John hatte sich schon vor längerer Zeit in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Man hörte das Lachen der Kinder von weitem, aber Rosalind war überhaupt nicht nach Lachen zu Mute.
„Ich wünschte nur, wir würden nicht auch noch Sam etwas vormachen."
„Du musst fairerweise zugeben, dass ich dir geraten habe, Sam entsprechend vorzubereiten. Aber du hast ja darauf bestanden, dass es möglich wäre, ihn aus allem herauszuhalten."
„Ich weiß", murmelte sie schuldbewusst. „Aber was wird er empfinden, wenn wir ihm eines Tages sagen müssen, dass du doch nicht sein Vater bist?" Auch sie selbst wäre alles andere als glücklich an dem Tag. Hätte sie Najib damals doch einfach nicht in ihre Wohnung gelassen!
„Seelische Krisen kann man überstehen, physische Verletzungen nicht unbedingt. Wir haben also das kleinere Übel gewählt. Eine perfekte Lösung gibt es nicht. Eines Tages wirst du Samir unsere Gründe erklären können, und dann wird er alles verstehen."
Davon war Rosalind nicht überzeugt. Sie spürte, dass sie sich von Gefühlen
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