Ganz oder gar nicht
leiten ließ, die sie nicht mehr unter Kontrolle hatte. „Wir haben ihn belogen. Wenn man ein Kind belügt ..."
Wie schon einmal, als Najib nicht weitergewusst hatte, packte er mit beiden Händen um ihre Schultern, die sich wie dafür geschaffen in seine Hände schmiegten.
Rosalind hielt den Atem an.
„Manchmal ist eine Lüge die einzige Möglichkeit, das Leben eines Kindes zu retten!" erklärte er ungedulig. „Du bist sehr unvernünftig. Sag, was sonst hätte ich tun sollen?"
Nichts. Das musste Rosalind zugeben. Es war nur so, dass ihr immer mehr bewusst wurde, wie sehr Sam bereits dem Zauber Najibs erlegen war - und dass sie selbst auf dem besten Weg dazu war. Es war ja so verlockend, sich einfach jemandem anzuvertrauen, der so stark war.
Aber es war alles nur Fassade. Das war das Problem.
Ich hätte meine Gefühle unbedingt besser unter Kontrolle halten müssen, dachte Najib. Doch seit er Rosalind das erste Mal begegnet war, zog sie ihn magisch an, mit ihrer Schönheit, ihrer betörend weiblichen Ausstrahlung. Und seit jenem unerklärlichen Augenblick im Wald war es fast schmerzlich für ihn, auch nur in ihrer Nähe zu sein. Der Wunsch, sie in Besitz zu nehmen, sie zu lieben, drohte immer mehr, ihn zu überwältigen.
Sie spürte seine Finger auf ihren nackten Schultern. Ein Prickeln überlief sie, und Rosalind sehnte sich schmerzlich danach, sich Najib hinzugeben.
„Nicht", flüsterte sie dennoch.
„Rosalind." Seine Stimme klang heiser.
Da öffnete sich die Tür, und Gazi al Hamzeh kam herein mit dem Handy in der Hand. „Ich hatte gerade einen Anruf aus der Redaktion von ,Hello!'." Er blickte von Rosalind zu Najib und wieder zu ihr. „Sie wollen einen Exklusivbericht von der Hochzeit machen. Wir bekommen die Titelseite. Besser könnte es nicht laufen."
Wieder auferstanden!
Empfang eines Helden - fünf Jahre später!
Mein Prinz - er ist wieder da!
Ja, ich bin dein Vater!
Die Regenbogenpresse brachte die Story ganz groß heraus. Fast jede Titelseite zierte ein Foto von Najib, Rosalind und Sam. Selbst die seriöse Tagespresse hatte offenbar Gefallen an der Story gefunden, wenn ihre Berichte auch sehr viel nüchterner klangen.
„Großartig", sagte Gazi zufrieden, als er mit professioneller Routine einen Artikel überflog, ihn zur Seite legte und nach dem nächsten griff. „Ihr seid Naturtalente."
Sie saßen beim Frühstück auf der Terrasse. Es war ein schöner Tag. Eine leichte Brise strich über die Blumenbeete. Sir John war am Abend zuvor zu seinem Club nach London gefahren, und sein Chauffeur war am Morgen zurückgekehrt und hatte ihnen die Zeitungen mitgebracht.
„Naturtalente, inwiefern?" fragte Najib kühl.
Gazi warf ihm einen überraschten Blick zu und hob die Schultern. Er hatte ein merkwürdiges Muttermal an einem Auge, das ihn wie ein Pirat aussehen ließ. Rosalind hoffte nur , er war nicht wirklich einer.
„Es ist unglaublich, wie ähnlich Sam dir sieht, wenn man ihn von einem bestimmten Winkel betrachtet", murmelte Gazi und nahm eine andere Zeitschrift zur Hand. „Niemand wird die geringsten Zweifel haben."
Es stimmte. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden kam auf allen Fotos sehr deutlich zum Vorschein, und nichts war leichter, als zu glauben, Sam sei eine kleinere Ausgabe von Najib.
„Ihr seid eine wahre Bilderbuchfamilie", bemerkte Gazi und blickte flüchtig auf eine weitere Titelseite. „Besser hätte der Start wirklich nicht sein können."
Rosalind las ein paar Zeilen.
Najib al Makhtoum ist ein Enkel des gestürzten Sultans. Seine Mutter, damals eine berühmte Schönheit, konnte nichts weiter retten als ihr Leben.
Mitglieder der Familie al Jawadi mussten damals untertauchen, um zu überleben ... Najib kam unter einem falschen Namen, der immer noch geheim gehalten werden muss, um andere nicht in Gefahr zu bringen, nach England.
Rosalinds Familienname war ebenfalls sorgfältig vor der Presse geheim gehalten worden.
Sie hob den Kopf - und begegnete Najibs Blick. Rosalind wuss-te, sie musste Najib dankbar sein.
Außerdem war sein Leben auch ziemlich durcheinander gebracht worden durch diese Geschichte, ohne dass er einen Nutzen für sich persönlich daraus ziehen konnte. Aber es war schwer, Dankbarkeit für den Mann zu empfinden, dessen Auftauchen in ihrem Leben eine totale Umwälzung ausgelöst hatte und dessen Verschwinden sehr viel Schmerz und Trauer bedeuten würde, nicht nur bei Sam.
Nein, sie war ihm nicht dankbar.
„Seelische Krisen kann man
Weitere Kostenlose Bücher