Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
Ernährungsmedizin der Technischen Universität München. Der Professor sitzt auch im »Wissenschaftlichen Beirat« des Instituts Danone, einer »unabhängigen« Ernährungsorganisation des »Fruchtzwerge«-Konzerns. Er hatte früh schon Auftritte etwa in einem Werbeblättchen des Bundesverbandes der Deutschen Erfrischungsgetränke-Industrie, darin sagte er, es gebe »keinen Beleg zwischen zuckerreicher Ernährung und Übergewicht«. Er kennt sich also aus in der Welt der süßen Verführer.
Auch Europas Branchenführer Südzucker sieht keine Suchtgefahr, sagte der Chef Wolfgang Heer im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ): »Zucker auf die gleiche Stufe zu stellen wie eine Droge oder Alkohol, halte ich für Unfug. Ich glaube nicht, dass solche Thesen wissenschaftlich haltbar sind.« Da wandte die SZ ein: »Es ist aber auch erwiesen, dass zu viel Zucker krank und dick macht.« Und Heer antwortete mit dem Mantra der Hersteller, die Zutaten für schlechte Essgewohnheiten produzieren: »Es gibt keine guten oder schlechten Lebensmittel, es gibt nur falsche Ernährungsgewohnheiten.«
Das ist natürlich Unsinn. Wenn es keine guten oder schlechten Lebensmittel gäbe, dann wären alle gleich gut. Dann könnte man aber auch keine falsche Wahl treffen. Der Südzucker-Chef ist also schon rein von der Logik her auf dem Holzweg. Natürlich gibt es gute und schlechte Lebensmittel. Manche scheinen sogar gut, sind aber schlecht. Zucker zum Beispiel. Schmeckt süß. Ist aber gefährlich, jedenfalls in größeren Mengen.
Zucker manipuliert das Gehirn, und zwar gleich in mehrfacher Weise. »Zucker erzeugt im Gehirn die gleichen Aktivitätsmuster wie süchtig machende Drogen«, sagt Anthony Sclafani, Psychologieprofessor am Brooklyn College in New York. Sogar Entzugserscheinungen sind möglich, wenn die Droge ausbleibt – jedenfalls bei den Zucker-Junkies unter den Versuchsratten. Das hatte der Hirnforscher Bartley G. Hoebel von der Princeton-Universität im US-Bundesstaat New Jersey nachgewiesen. Die Ratten in seinem Labor reagierten auf Zucker nicht nur mit dem Konsum ständig steigender Mengen, was bei Drogenabhängigen typisch ist, sondern auch mit den typischen Entzugserscheinungen, wenn die Droge ausbleibt: extreme Ängstlichkeit und Zähneklappern. Für Hoebel und seine Kollegen war das der »Beweis für die Zuckersucht«, so die Überschrift eines diesbezüglichen Aufsatzes.
Die Hirnforscher haben mittlerweile verortet, wo der Zucker wirkt. Er stimuliert, ähnlich wie Drogen, eine bestimmte Region tief im Inneren des Gehirns, das sogenannte mesolimbische System, im Bereich einer Zone namens Nucleus accumbens. Dort befinden sich Rezeptoren für ein Hormon namens Dopamin: die Rezeptoren vom Typ D1. Wenn diese stimuliert werden, löst das Glücksgefühle aus.
Die Hirnforscher bezeichnen die Region als »Belohnungszentrum«. Was natürlich nicht ganz korrekt ist, schließlich gibt es im Hirn keinen Lohn für irgendwelche Leistungen, sondern allenfalls ein Wohlgefühl. Und dieses Wohlgefühl entsteht beim Essen und beim Sex, was ja auch keine besonderen Leistungen sind, sondern sinnvolle Verrichtungen, die der Selbst- und Arterhaltung dienen. Und damit die Menschen beide Verrichtungen stets mit Vergnügen betreiben, hat der liebe Gott im Gehirn die nötigen chemischen Voraussetzungen geschaffen, damit die Selbst- und Arterhaltung eine Freude ist und die Menschen das auch gerne machen.
Daher können Nahrungsinhalte, die wichtig sind fürs Überleben, Glücksgefühle auslösen. Süße Früchte zum Beispiel. Das Gehirn reagiert auf den süßen Geschmack besonders sensibel, damit der Mensch schnell zugreift. Die süßen Früchte gab es auf dieser Welt ja ganz selten, in hiesigen Breiten nur im Sommer und selbst in den Tropen nicht immer.
Da hieß es also schnell zugreifen. »Wenn unsere Urahnen irgendwo süße Früchte entdeckten, war es für sie durchaus sinnvoll, sich daran zu überessen«, sagt Suchtforscher Sclafani. Und zwar, solange der Vorrat reicht: »Sie wussten ja nicht, wann sie das nächste Mal so etwas finden würden.« Mit Gefahr war nicht zu rechnen: »Süße«, sagt Psychologieprofessor Sclafani, »ist in der Natur ein Signal dafür, dass etwas kalorienreich und nicht giftig ist.«
Sinnvoll war da sogar eine gesteigerte Sensibilität gegenüber dem Süßen, sagt die Suchtforscherin Magalie Lenoir von der Universität Bordeaux. Sie führt das »suchterzeugende Potenzial des intensiven Süßgeschmacks«
Weitere Kostenlose Bücher