Garantiert gesundheitsgefährdend: Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (German Edition)
aufwachen?«
»Nee, das ist mir zum Glück noch nicht passiert. Aber sehr, sehr viel vorm Schlafengehen. Es gibt ja bei uns auch so einen Supermarkt, der bis 24 Uhr offen hat. Und wenn ich einen stressigen Tag hab und nach Haus komme und es ist Viertel vor zwölf, geh ich noch mal beim Supermarkt vorbei und kauf zum Beispiel so was.«
Später erzählt Lara dann noch, was sie da so kauft, was ihre Favoriten sind:
»Schokolade, und Kekse. Und von Katjes so Joghurt Gums. So was. Und zum Beispiel von Haribo saure Sachen, so Frösche. Vor allem Sachen mit Creme drin. Wie Kinder Pingui. Überhaupt die ganzen Kinder-Artikel. Ich mag zum Beispiel auch Milchschnitte. Das kann schon echt so ’ne ganze Packung sein, so’n großes Pack mit zehn Milchschnitten. Und da wird einem auch schlecht. Aber die hab ich wirklich schon mal gegessen. Oder die anderen Sachen von Ferrero. Nicht nur Milchschnitte, sondern die ganzen Produkte, die Ferrero produziert. Ferrero. Ferrero ist das böse, böse Wort.«
Für sie sind das alles längst keine Lustobjekte mehr. Für sie sind das »diese ganzen wirklich ekligen Sachen«, die sie am liebsten nie wieder kaufen würde.
Haribo. Ferrero. Katjes. Bisher waren das klangvolle Namen. Aus dem Mund der Zuckersüchtigen klingen sie eher nach Drogenküchen. Alles erscheint in einem neuen Licht, in einem Zwielicht, wenn man den Zucker als »Volksdroge« ansieht wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in einer Titelgeschichte zum Thema. Der Spiegel sieht am Horizont schon ein Szenario, in dem die westliche Ernährungslandschaft plötzlich anmutet wie eine blühende Drogenregion im Reich der Taliban: »Supermärkte, Fast-Food-Ketten und Softdrink-Hersteller erschienen wie Drogendealer, die ihren Profit mit Hilfe eines Suchtmittels steigern und damit die Gesundheit ganzer Völker ruinieren. Die Menschen wiederum stünden wie Junkies da, die nach der nächsten Dosis Zucker gieren.«
Noch ist das nicht so. Noch gelten die Anbieter als unschuldig, auch wenn ihre Produkte die Gesundheit ganzer Völker ruinieren. Denn diejenigen, die nach der nächsten Dosis Zucker gieren, sind nach offizieller Lesart selbst schuld, wenn sie nach dem Angebotenen greifen.
Und so wurde in dem Fall jenes Mannes, der krank geworden ist und vor Gericht zog, kein Täter verurteilt, sondern eher das Opfer. Die Hersteller wurden freigesprochen, Kritik und Spott trafen den Kläger. Der Mann hatte bei der Arbeit immer Mars-Riegel gegessen, dazu Coca-Cola getrunken, einen Liter am Tag. Irgendwann verspürte er dann Schmerzen an den Nieren, er ging zu einer Fachärztin, die wies ihn gleich ins Krankenhaus ein – wegen »akuter Komagefahr«. Der Mann war nicht nur dick geworden, 100 Kilogramm schwer, sondern auch schwer zuckerkrank.
Er wollte, es war zur Jahrtausendwende, zusammen 25 000 Mark (13 000 Euro) Schmerzensgeld von Coca-Cola und dem Mars-Hersteller Masterfoods. Ihre Produkte seien es gewesen, die ihn krank gemacht hätten. Allein mit Coca-Cola kam er im Jahr auf 27,3 Kilogramm Zucker, plus 12,6 Kilo durch Mars und Snickers. Statt zu warnen vor ihren »Zuckerbomben«, hätten die Konzerne den Heißhunger erst noch angeheizt, so argumentierte der Kläger, der selbst Jurist ist, sogar Richter. Er sah eine gewisse Mitschuld bei denen, die mit ihrer Werbung sorglosen Verzehr der offenkundig krank machenden Produkte gefördert hatten: »Mars macht mobil, bei Arbeit, Sport und Spiel.« Das war zum Beispiel so ein Slogan.
Er fand, dass die Werbung für solche »ungesunden Zuckerprodukte« nicht als Ausdruck des normalen, »zulässigen Gewinnstrebens« einzustufen sei, sondern als »unzulässige Gefährdung der Volksgesundheit«. Zumindest Warnhinweise gehörten auf die Packung.
Hans-Josef Brinkmann, so heißt der Mann, stieß auf entschiedenen Widerspruch. Zum Beispiel bei den Medizinern. So meinte etwa ein Münchner Diabetologe namens Matthias Wicklmayer in der Süddeutschen Zeitung, wer sich fast ausschließlich von Schokoriegeln und Softdrinks ernähre, werde vielleicht fett, aber nicht zuckerkrank. Wer anderes behaupte, rede »Schwachsinn«. Und die Düsseldorfer Diabeteskundlerin Monika Toeller verkündete: »Einen direkten Zusammenhang zwischen Schokoladenkonsum und Diabetes-Gefahr kann man nicht belegen.«
Das war damals, im Jahr 2001, die wissenschaftliche Mehrheitsmeinung. Man hätte es natürlich auch damals schon anders sehen können, schließlich hatte der britische Ernährungsmediziner Professor John Yudkin
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