Garantiert wechselhaft
Großzügig gerechnet hatten nur etwa zwei Prozent der weiblichen Bevölkerung von Natur aus Idealmaße. Wobei ja noch sehr die Frage war, was ideal überhaupt sein sollte.
Ich hatte die Nase voll von der unterschwelligen Propaganda, die mir einreden wollte, dass ich meinen eigenen Körper erst einmal grundsätzlich als große Problemzone wahrzunehmen hatte anstatt als großartige Verbündete, die es zu pflegen und zu verwöhnen galt.
War es nicht höchste Zeit für Kleidung, die sich an den Körpern der Frauen orientierte statt andersherum?
Ich bemerkte, dass mir noch immer der Schweiß-Abwisch-Lappen um den Hals hing.
«Habt ihr schon mal daran gedacht, Mode für Frauen in unserem Alter zu machen?»
«Des machen mir doch, oder?» Leni sah mich erstaunt an.
«Ich meine speziell in Bezug auf die Wechseljahre. Sachen, die man toll miteinander kombinieren kann, je nachdem, ob man gerade friert oder im eigenen Saft steht. So eine Art … Zwiebellook.»
Claudia sah mich an, als hätte ich einen unanständigen Witz erzählt. «Schmarrn. Damit muss fei jeder selber feddich wern.»
Leni pflichtete ihr bei, und Rosi hatte keine Meinung.
Bärbel aber nickte. «Ich find die Idee richtig gut.»
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Siebzehn
Die Vorhersage für Donnerstag, den 20. Juni:
Zunächst überwiegen positive Gedanken, die jedoch im Laufe des Tages von Zweifeln überlagert werden.
Wenigstens konnte ich die Frauen davon überzeugen, mich nur zu bestimmten Zeiten mit ihren Anliegen zu behelligen. Doch nun machte sich eine andere Art von Störung bemerkbar: Während ich eigentlich am Werbeauftritt einer Berliner Lakritzmanufaktur arbeiten sollte, griff ich, bestärkt durch Bärbels Bemerkung, immer wieder zum Zeichenblock und kritzelte meine Zwiebellook-Ideen aufs Papier. Das fand ich im Moment sogar spannender als die Frage, wie wohl eine Lakritze schmeckte, die als «unsere Orgasmus-Sorte» angepriesen wurde. Ich nahm mir vor, gelegentlich eine Großbestellung in Auftrag zu geben.
Aber dann verlor ich mich in Träumereien über schicke und bequeme Hosen und über Röcke, die anmutig um Waden jeder Statur schwangen. Ich dachte an Oberteile, die man beliebig mit- und übereinander kombinieren konnte, um etwas zum Ausziehen zu haben, wenn frau ins Schwitzen geriet. Mit denen man aber trotzdem gut angezogen war.
Die Stoffe spielten natürlich eine große Rolle. Meiner Ansicht nach kamen nur leichte, elastische Materialien in Frage, feiner Strick oder Jersey vielleicht. Aber unter diesen dünnen Stoffen zeichnete sich jede Speckrolle, jeder von der Unterwäsche verursachte Einschnitt ab.
Man müsste die Bahnen so drapieren, dass sie locker den Körper umspielten und trotzdem die Konturen nicht verwischten. Beziehungsweise an den richtigen Stellen hervorhoben. Da die nicht bei jeder Frau an der gleichen Stelle saßen, konnte man doch vielleicht durch eine Art Wickeltechnik …
Ich skribbelte, dachte nach, radierte. Am Ende holte ich meinen heiligen Pashmina-Schal, der so teuer gewesen war, dass ich ihn nur bei ganz besonderen Gelegenheiten trug – also eigentlich nie –, und probierte mit Hilfe einer Schnur verschiedenste Möglichkeiten aus, ihn wie ein Shirt um mich zu legen, die ich mit der Fotofunktion meines Macs festhielt und dann zeichnerisch weiterentwickelte.
Jedenfalls hätte ich das gern ausführlich getan, aber plötzlich wurde mir siedend heiß bewusst, dass fast zwei Stunden um waren und meine richtige Arbeit auf mich wartete.
Ich hatte mich gerade von meiner Traumkollektion losgeeist und mich wieder der Welt der Erwachsenenlakritze zugewandt («Hart und scharf muss sie sein»), als das Telefon klingelte.
«Pass mal auf. Ich kann deinen Frauen einen Stand auf der Berlin Fashion Week besorgen, aber billig ist das nicht.»
Volker hatte noch nie viel von einleitenden Worten gehalten, aber heute verblüffte er mich. «Die Berlin Fashion Week?!»
«Jetzt tu nicht so, als ob du davon noch nie was gehört hättest», blaffte mein Ex.
«Doch, natürlich», rief ich. «Aber ist das nicht eine Nummer zu hip?» Und vor allem: zu teuer?
«Es ist nicht auf der Bread and Butter in Tempelhof, falls du das meinst, sondern auf einem der anderen Schauplätze. Klär das mal mit deinen Provinztussis und sag mir dann Bescheid.»
Dann hörte ich das Freizeichen. Ende der Audienz.
«Es ist nicht ganz eure Kragenweite», schloss ich meine Ausführungen unten im Saal. «Aber eine Wahnsinnsgelegenheit, in der Modebranche
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