Garantiert wechselhaft
Morgen stand ich früh auf, holte frische Brötchen und stellte ein paar Blumen auf den Küchentisch.
«Marie! Frühstück ist fertig!»
Als sie nach zehn Minuten noch nicht erschienen war, ging ich hoch und klopfte vorsichtig an ihre Zimmertür. Keine Antwort. Ich öffnete die Tür einen Spalt.
«Der Zimmerservice ist …» Weiter kam ich nicht, denn Marie war nicht da. Mit zwei Schritten stand ich vor dem gemachten Bett. Es war kalt, und auch sonst wies nichts darauf hin, dass sie hier geschlafen hatte.
Auch im Bad keine Marie.
War sie aufgestanden, während ich beim Bäcker gewesen war? Ich rannte auf die Straße, dann in den Garten. «Marie? Marie!!»
Keine Antwort. Ich stürmte in die Küche zurück, wählte ihre Handynummer. Die Mailbox sprang an.
Mein Herz raste, und mein Mund war trocken vor Angst. Wo war sie?
Gundi! Genau. Sie war bestimmt bei Gundi und heulte sich über ihre bescheuerte Mutter aus. Aber ich würde alles wiedergutmachen. Alles. Alles, alles, alles, nur bitte sei da!
Ich zwängte mich durch das Gartentürchen und stellte mich vor das Küchenfenster. Meine Nachbarin las seelenruhig die Zeitung und trank ihren Kaffee. Als sie mich sah, öffnete sie die Tür. «Was is los? Du schaust ja aus wie a G’spenst.»
«Ist Marie bei dir?»
Sie schüttelte den Kopf. «Gestern war’s amol kurz da, aber heut hab ich se noch ned g’sehen.» Sie musterte mich eindringlich. «Habt’s euch gestridd’n?»
«Nein», sagte ich. «Das heißt, nicht direkt. Ich war gestern so genervt von allem, dass ich sie aus Versehen angeschnauzt habe. Und als ich sie vorhin zum Frühstück wecken wollte, war sie weg.»
«Des hat nix Schlimmes zu bedeud’n», beruhigte Gundi mich. «Vielleicht hat se …»
«Genau!», rief ich. «Vielleicht hat sie bei Mario übernachtet!»
Ich rannte durch den Garten zurück nach Hause. Als ich im Flur war, klingelte es, und ich flog zur Tür. «Marie!!!»
Mario wich erschrocken zurück. «Nein, Mario!»
«Weißt du, wo Marie ist?», sprudelte es aus mir heraus. «War sie heute Nacht bei dir, oder habt ihr …»
Mario sah mich verwirrt an, und als ich kapierte, dass er genauso wenig wusste wie ich, sackten mir die Beine weg, und ich setzte mich auf die Truhe neben dem Eingang.
Mario schloss die Tür hinter sich und holte mir stumm ein Glas Wasser.
«Trink mal», sagte er leise. «Und dann überlegen wir uns, was wir machen können.»
Da fing ich an zu weinen.
Als ich mich etwas erholt hatte, erzählte ich ihm, was vorgefallen war. Mario hörte sich alles an und nickte.
«Meine Mutter hat die Marie voll gemobbt», sagte er dann. «Hat sie immer wieder blöd angequatscht, weil sie glaubt, dass Marie schuld dran ist, dass ich mich schmink und kein Fleisch mehr esse und so. Dabei ist das totaler Quatsch, ich hab schließlich auch noch einen eigenen Willen. Aber meiner Mutter passt es nicht, wenn jemand was anders macht, als sie es gut findet.»
«Also doch deine Mutter. Ich war ja schon drauf und dran, mit ihr zu reden, aber Marie wollte nicht, dass ich mich einmische.» Ich schniefte.
«Schade», sagte Mario. «Vielleicht hätte es was genützt.» Er kaute nervös an seinem Daumennagel herum. «Ich ruf mal Frank und Robbi in der Schule an, ob Marie da ist.»
«Oh Gott, die Schule!», rief ich panisch. «Es ist schon Viertel vor! Soll ich dich schnell mit dem Auto hinfahren?»
Mario schüttelte seine Schnittlauchmähne. «Ich bleib da, bis wir sie gefunden haben.»
Seine Nachforschungen verliefen alle im Sand. Mario wich nicht von meiner Seite. Dafür war ich ihm unendlich dankbar, hatte aber auch Bedenken.
«Deine Mutter wird nicht erfreut sein, wenn sie hört, dass du bei mir herumhängst, statt in die Schule zu gehen.»
«Des stimmt. Aber bei uns ist es auch höchste Zeit für einen Knall. Sonst versteht sie ja nie, dass es so nicht weitergeht.»
Ich schluckte. Auch, hatte er gesagt. Auch Zeit für einen Knall – wie bei uns. Weil es so nicht weiterging.
Mario sah mich verständnisvoll an. «Lass sie halt ein bisschen in Ruhe, bis sie sich sortiert hat. Die meldet sich schon, wirst sehen. Und dann wird alles wieder gut.»
Woher nahm der Knabe nur diese Weisheit? Diesmal ging ich zum Heulen in den Garten.
Auch in der Schneiderei lagen die Nerven blank. Claudia tauchte gar nicht erst auf, aber Leni, Rosi und Bärbel arbeiteten verbissen vor sich hin. Rosi verschwand jedoch um zwölf zu ihrem Job. Und Leni ging noch früher, damit ihr Mann nicht wieder
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