Gargantua Und Pantagruel
beizustehn. Und stellt Ihr Euch jetzt nach dem Muster dieser verdrossenen, dickschnutigen, nichts leihenden Welt die andre kleine Welt vor, den Menschen, da werdet Ihr erst einmal Eure blauen Wunder erleben! Das Haupt wird seiner Augen Licht zur Leitung der Hände und Füße nicht herleihn; die Füße werden sich zu tragen weigern; die Hände ihren Dienst versagen. Das Herz, so vieler Pulsschläge müde, die Glieder nicht bewegen, ihnen nichts weiter leihen. Die Lunge wird dem Leib das Darlehn ihres Odems entziehn; die Leber ihm zu seinem Bedarf kein Blut mehr schicken, die Blase nicht mehr in der Nieren Schuld sein wollen, der Harn gesperrt sein. Das Gehirn wird dank dieser Weigerungen tranig werden und weder den Nerven Empfindung noch den Muskeln Nahrung reichen. Kurz, Ihr werdet in dieser vertrackten weder Leiher- noch Borgerwelt eine schmähliche Verschwörung sehen, und sie wird zweifelsohne zugrund gehn, und das in Bälde!
Denket Euch aber im Gegenteil eine andre Welt, wo jeder leiht, jeder schuldig ist, eitel Schuldner und Gläubiger wohnen. O welche Harmonie wird da in den stetigen Himmelsläufen ertönen! Mir deucht, ich hör' sie so gut als Plato seinerzeit. Oh, wie wird da Natur ihrer Werk und Wesen sich freuen! Unter den Menschen wird Friede herrschen, Eintracht, Liebe, Treue, Ruh; Schoppenstechen, Flaschenhalsbrechen, Braten wenden, Geldverschwenden! Gold, Silber, Scheidemünze, Ringe, Ketten, Kleinode, Kaufmannsgüter werden von Hand zu Hand gehen. Da wird kein Krieg, kein Prozeß, kein Streit sein, kein Wuchrer, Knicker, Filz. Du lieber Gott! Und dies wär' nicht das goldne Zeitalter? Das Urbild der olympischen Zonen, wo jede andre Tugend aufhört, bloß Liebe allein herrscht, thront, siegt, waltet, triumphieret? Alle werden dann gut sein, alle schön und gerecht. O glückliche Welt! O glückselige Menschheit! O dreimal selig und viermal! Ist mir doch, als wär' ich schon drin. Ich schwör' Euch bei dem und jenem, wenn diese himmlische, allen leihende, nichts versagende Welt einen Papst hätt' mit einem ganzen Sack voll Kardinälen und der heiligen Synode zur Seite, Ihr würdet da in wenig Jahren die Heiligen dichter wachsen, mehr Wunder tun, mit mehr Gebeten, Gelübden, Kerzen und Kreuzen bedeckt sehen als heute in der ganzen Pfaffengasse!«
»Ich versteh'«, antwortete Pantagruel, »Ihr scheint mir sehr erpicht auf Euern Satz, Ihr Silbenstecher! Predigt aber bis Pfingsten, bei mir werdet Ihr doch nichts ausrichten. Mit allen Euern schönen Reden könnt Ihr mich nicht in Schulden locken. Was sagt der heilige Apostel? »Seid niemand nichts schuldig, als daß ihr euch untereinander liebet und wert haltet.« Eure Sprüchlein und Beispiele gefallen mir auch ganz wohl. Ich sag' Euch aber: wenn ein frecher Borger und prellender Prahlhans in eine Stadt zuzieht, die schon vorher sein Laster kennt, so werdet Ihr finden, daß die Bürger vor seiner Ankunft mehr erzittern und schaudern werden, als wenn die Pest in eigener Person angerückt käme. Ich will nicht behaupten, man dürfte im Leben nie was borgen, im Leben niemand etwas leihn: es ist kein Mensch so reich, der nicht zuweilen was schuldig wäre; kein Mensch so arm, von dem man nicht zuweilen was lehnen möchte. Aber es ist eine große Schand', wenn einer immer und überall von einem jeden Geld borgen will, statt daß er arbeitet und sich's verdienet: man sollte, mein' ich, nur dann leihen, wenn einem Menschen Müh' und Fleiß nichts einbrachten oder er unerwartet plötzlich das Seine verloren hätt'. Damit genug von dieser Sach', und meidet mir künftig die Gläubiger.«
Drittes Kapitel
Wie Panurg den Floh am Ohr trug und seinen prächtigen Hosenlatz ablegte
Tags darauf ließ sich Panurg sein rechtes Ohr auf jüdisch durchbohren und hing ein kleines güldenes Reiflein daran. Im Kasten desselben war ein Floh eingesperrt, und der Floh war schwarz, damit ihr's genau wißt. Dieses Flohes Unterhalt kam ihm alles in allem ungefähr wie die Beköstigung einer hyrkanischen Tigerin, also auf 609 000 Gulden zu stehen. Ein also ungebührlicher Aufwand verdroß ihn aber, als er nun ohne Schulden war, darum entschloß er sich, ihn, nach der Tyrannen und Advokaten Art, mit Schweiß und Blut seiner Untertanen zu nähren. Sodann nahm er vier Ellen grobes Sacktuch, warf es um wie einen langen Mantel, legte seine Hos' ab und hing eine Brille an sein Barett. In solchem Aufzug trat er vor den Pantagruel, der die Vermummung seltsam fand, zumal als er an ihm seinen
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