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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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weg?«
    »Eigentlich... lass mich nachdenken.« Mama saugte an ihrer Zigarette. »Ich bin um acht aufgestanden, dann Kaffee, dann haben zwei Kunden angerufen, bis ich mit denen fertig war... dann Frühstück. Ich würde sagen, ich bin um neun aus dem Haus, na ja, Haus, und zurück war ich kurz vor dir, gegen zwölf.«
    »Drei Stunden!« Rebecca blickte überrascht von den roten Fetzen auf. Mama bewegte sich selten aus dem Schäferwagen, und drei Stunden waren ein neuer Rekord.
    »Was hast du denn drei Stunden da draußen gemacht?«
    »Ich war im Gästehaus des Schlosses, duschen«, murmelte Mama und hüllte sich in Rauch.
    »Drei Stunden?«
    »Erst war das Wasser eiskalt. Wieder mal. Einer dieser beiden komischen Wintergäste muss duschen wie verrückt. Also habe ich gewartet, bis es wieder warm war. Und dann hat es sich so ergeben ...« Mama drehte verlegen die Zigarette in ihren Händen.
    Rebecca hatte ihre roten Fetzen wieder alle aus dem Schnee gepflückt und richtete sich auf.
    »Du hast... gearbeitet?« Sie hielt Mama das rote Bündel hin, aber Mama hatte noch immer die Zigarette in der Hand und wedelte den Stoffsalat von sich weg.
    »Man hat mich gefragt, na und? Warum nicht? Sieh es als Nachbarschaftshilfe.«
    »Ich hatte dir doch ganz klar...«
    Der rote Haufen landete auf der obersten Schäferwagenstufe.
    »Ich muss arbeiten, Kind. Wenn ich nicht arbeite, bin ich nicht glücklich!«
    Die Schafe wussten, was Mama arbeitete: Humbug. Tag für Tag, nichts als Humbug. Und Rebecca hatte eine Regel aufgestellt, so unumstößlich wie die Regel von der täglichen Zaunkontrolle. Humbug wurde nur im Schäferwagen produziert. Am Telefon. Sonst nirgends. Schon gar nicht irgendwo, wo andere Leute etwas davon mitbekamen. Die Schafe hätten gerne ab und zu ein bisschen Humbug gesehen, aber in dieser Sache war mit Rebecca nicht zu spaßen.
    »Na großartig!«
    »Stell dich nicht so an, Reba!«, sagte Mama und schnippte die Zigarette in den Schnee.
    Rebecca explodierte, so wie die grau geströmte Hofkatze manchmal explodierte. In einem Augenblick schlich sie friedlich nach Katzenart am Zaun entlang, Nager und Wintervögel im Sinn, im nächsten schnellte sie fauchend in die Luft, in alle Richtungen gleichzeitig, mit aufgestellten Haaren, Funkelaugen und Katzenbuckel. Abgesehen vom Katzenbuckel sah ihr Rebecca in diesem Moment ziemlich ähnlich.
    »Und ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass du nicht einfach deine Kippen auf die Weide ... Was glaubst du, wenn ein Schaf das frisst? Das geht ein!«
    Jetzt war es an der Zeit, Rebecca böse anzugucken. Niemand hätte je einen dieser stinkenden Stummel angerührt. Für wie dumm hielt die Schäferin sie eigentlich? Mopple, dem das zweite Stoffstück nun doch etwas schwer im Magen lag, rülpste vorwurfsvoll.
    Rebecca schnappte den Zigarettenstummel vom Boden und schleuderte ihn in den Schäferwagen. Dann sackte sie auf die Stufen.
    »Es ist einfach ein bisschen viel«, murmelte sie. »Ein bisschen viel... Erst Weihnachten, dann das Reh und dann Cloud, und jetzt diese Schweinerei hier« - sie hob eine Hand voll Fetzen von den Schäferwagenstufen und ließ sie zurück auf den Haufen rieseln - »und du rennst herum und legst den Leuten die Karten. Weißt du überhaupt, was das hier für Leute sind? Ich weiß es nämlich nicht! Ich werde aus ihnen nicht schlau, kein bisschen! Zuerst laden sie mich ein, und dann kommt es mir die ganze Zeit so vor, als ob sie etwas gegen mich hätten. Oder gegen die Schafe! Du hättest sehen sollen, wie sie geguckt haben, als ich die Schafe ausgeladen habe ... Paul der Ziegenhirt zündet jeden Abend am Waldrand ein Licht an, Gott weiß, warum. Am Ende verbrennen die dich noch als Hexe ...«
    »Sei nicht albern, Kind!« Mama ließ sich neben Rebecca auf den Schäferwagenstufen nieder, erstaunlich geschickt. »Die Leute sind überall nur Leute. Es ist dir einfach peinlich, das ist alles.«
    »Und warum auch nicht! Meine Mutter: Sanilla die Seherin! Die Frau mit dem zweiten Gesicht! Karriere, Finanzen, Partnerschaft und Lebensglück! Lebensglück, pah! Du läufst herum und erzählst den Leuten diesen Humbug, und ich muss es ausbaden. Immer muss ich es ausbaden ...«
    Die Schafe rückten gespannt näher. Vor dem Schäferwagen tat sich etwas. Einer von Rebeccas Zäunen wankte, und vielleicht würde bald etwas zum Vorschein kommen. Möglicherweise der Humbug selbst, vielleicht nur das zweite Gesicht. Auf Mamas zweites Gesicht waren die Schafe schon gespannt.

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