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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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mochten. Nur kannten die Schafe keine Geschichten mit Autos. Aber vielleicht konnte man eine der romantischen Pamela-Geschichten, die sich seit Georges Zeiten auf der Weide erzählt wurden, ein wenig anpassen?
    »Auf einem entlegenen Landgut...«, begann Heide.
    »Scheune!«, blökte Zora.
    »In einer entlegenen Scheune lebte eine arme, aber adelige Familie von Autos. Es waren alles schöne Autos, aber das jüngste Auto war das schönste. Es, äh, hatte eine besonders schöne Farbe ...«
    »Weiß!«, schlug Maude vor.
    »... und war wild und freiheitsliebend.«
    »... und fuhr gerne eine freundliche Herde von Schafen spazieren!«, blökte Zora. Die Geschichte sollte auch ein wenig pädagogisch sein.
    »Genau!«, blökte Maude.
    »Genau!«, blökte Heide.
    Sie sahen das Auto erwartungsvoll an, aber falls es die Anspielung verstanden hatte, ließ es sich nichts anmerken.
    »Das junge Auto lebte glücklich und zufrieden, bis eines Tages ein mysteriöser Fremder in das Dorf kam...« »Scheune!«, blökte Zora.
     
    Plötzlich stand Mama wieder auf den Stufen des Schäferwagens, mit wehenden, dunklen Kleidern und einer Zigarette in der Hand. Und - kein Zweifel - sie trug ihr zweites Gesicht! Und ihre zweite Hand - oder waren es ihre dritte und vierte? Hände mit leuchtend roten Fingernägeln jedenfalls. Mamas zweites Gesicht glitzerte und glänzte, hatte rote Wangen und einen breiten roten Mund und Augen, die schwarz umrandet waren wie die Augen eines Kerry-Hill-Schafes, das die Schafe einmal bei einem Schafswettbewerb in Irland kennen gelernt hatten. Das Kerry-Hill-Schaf hatte gewonnen.
    Der Wind blies Mamas Kleidung zurück, und zum ersten Mal sahen die Schafe, wie hager sie unter ihren vielen weiten Kleidungsstücken sein musste. Hager und zart. Dann blies der Wind in eine andere Richtung, und Mama sah wieder groß und imposant aus. Rebecca im Schäferwagen hustete.
    »Das stinkt!«, sagte sie.
    »Räucherstäbchen«, sagte Mama unbeeindruckt.
    Jetzt rochen es die Schafe auch, sogar hier draußen auf der Weide. Einer von Mamas unergründlichen Gerüchen, zweifellos. Als würde etwas brennen. Etwas aus einem fernen Land.
    »Ich halte das nicht aus!«, ächzte Rebecca. »In so einem kleinen Raum!«
    »Das bringt uns zum Thema«, sagte Mama und schnipste in einem unbeobachteten Moment ihren Zigarettenstummel auf die Weide. »Meine Kunden brauchen ein bisschen... Privatsphäre.«
    »Du willst, dass ich verschwinde!«, sagte Rebecca. »Aus meinem Schäferwagen!«
    »So dramatisch ist es auch wieder nicht«, sagte Mama. »Geh spazieren! Du gehst doch sonst gerne spazieren!«
    »Toll!«, sagte Rebecca. »Hier läuft ein mordender Irrer durch die Gegend, und ich soll spazieren gehen, damit du hier drinnen deinen Hokuspokus auffuhren kannst.«
    Aber sie hatte schon ihre braune Brotmütze auf und den roten Schal um den Hals und einen grünen Anorak in der Hand. »Ich muss sowieso die Schafe versorgen.«
    Mama lächelte mit ihrem großen, roten Mund.
    »Dieser Hokuspokus ist die beste Möglichkeit herauszufinden, was hier los ist. Es redet ja sonst niemand mit uns. Es gibt hier ein Geheimnis, und ich werde ...«
    Sie brach ab und blickte Richtung Schloss. Ein Mann stand am Weidetor. Ein Mann mit breiten Schultern und dunklen Haaren. Ein Mann, dessen Hemdskragen selbst im Winter aufgeknöpft war und dunkles Brusthaar ahnen ließ. Yves.
    »Der Typ?«, fauchte Rebecca. »In meinem Schäferwagen? Der möchte doch nur herumschnüffeln.«
    Mama zuckte mit den Achseln. »Kunde ist Kunde. Das Schicksal macht keine Unterschiede.«
    »Das Schicksal vielleicht nicht«, sagte Rebecca. »Aber ich!«
    Sie packte den Futtereimer und stapfte wortlos an Yves vorbei, der Rebecca mit vielen Zähnen angrinste. Dann blickte er hinauf zu Mama, die noch immer in der Tür des Schäferwagens stand, rauchend und wehend und dunkel, und sein Lächeln verschwand. Einen Augenblick sah es fast so aus, als hätte er Angst. Dann grinste er wieder, trat ins Dunkel des Schäferwagens, und die Tür knarrte hinter ihm ins Schloss.
     
    »>Komm!<, sagte er. >Die Zukunft liegt vor uns!< Und gemeinsam ritten ...«
    »Fuhren!«, blökte Zora.
    »...fuhren sie in den Sonnenuntergang.«
    Zora, Maude und Heide sahen das Auto erwartungsvoll an. Zugegeben, der Mittelteil war vielleicht ein bisschen konfus geworden, weil sie noch nie ein Auto ein anderes Auto in seinen starken Armen - Armen? - wegtragen gesehen hatten, und weibliche Autos, die sich als männliche Autos

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