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Garou

Garou

Titel: Garou Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonie Swann
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würde immer zurückkommen.
    Auf einmal schien wieder die Sonne.
     
    Yves war nun gründlich versteckt, das musste man ihnen lassen. Die Schafe hatten Mühe, sich selbst gegenseitig im Schnee wiederzufinden. Nach und nach versammelten sie sich mehr oder weniger vollzählig auf der windabgewandten Seite des Heuschuppens, wo der Schnee nicht ganz so tief war, und sahen sich um. Alles war verschwunden, alles: der Zaun, der Futtertrog, sogar die Ziegen - immerhin! Der Schäferwagen: ein weißer, flaumiger Pilz. Der Bach: eine eisig plätschernde Schlangenspur durch das Nichts. Die ganze Sache war maßlos übertrieben.
    Sie waren ein wenig wütend auf Miss Maple, die ihnen mit ihrem Vorschlag den ganzen Schnee eingebrockt hatte. Und sie waren wütend auf Yves - warum hatte er nicht einfach die Finger von Rebeccas Unterwäsche lassen können? Auf Rebecca waren sie auch wütend.
    Die Stimmung war schlecht.
    Eis glitzerte in der Sonne. Die Schafe sahen missmutig zu, wie die Ziegen nach und nach wieder aus dem Schnee auftauchten, hüpften und sprangen, mit glänzenden Augen und glänzendem Fell, so als wäre überhaupt nichts passiert. Warum auch nicht? Sie hatten keine schießwütige Schäferin, die man vor der Polizei beschützen musste.
    Und dann, plötzlich, bewegte sich noch etwas im Schnee, etwas auf ihrer Seite der Weide, beunruhigend nah. Der Schnee wölbte sich und brach, und ein Kopf tauchte auf, der Kopf des ungeschorenen Widders. Jetzt, wo man wegen des vielen Schnees kaum sehen konnte, dass er ungeschoren war, sah er eigentlich wie ein ganz gewöhnliches Schaf aus. Zum ersten Mal fiel ihnen auf, wie braun die Augen des Fremden waren - und wie wach.
    »Tourbe!«, blökte er gut gelaunt. »Aube! Gris! Marcassin!«
    Der Ungeschorene watete an den Schafen vorbei, durch den Schnee Richtung Weidezaun, ohne ein einziges Mal in ihre Richtung zu blicken. Trotzdem hatten die Schafe das Gefühl, dass er sich freute, wieder da zu sein. Und sie - sehr, sehr vorsichtig - freuten sich auch.
     
    Zora, Maude, Heide und Madouc hatten die Nacht an einer Bushaltestelle verbracht. Ein Häuschen hatte sie vor dem Wind und dem vielen Schnee geschützt, aber Bus war bisher noch keiner vorbeigekommen. Jetzt war es wieder hell - außerordentlich hell sogar, wegen des neuen Schnees.
    Madouc streckte in regelmäßigen Abständen ihren Kopf aus dem Häuschen und witterte.
    »Da lang!«, meckerte sie zuversichtlich und guckte entweder wegauf oder wegab oder geradeaus und einmal sogar nach oben. Die anderen blieben skeptisch. Nicht einmal Maude konnte unter all dem Schnee riechen, woher sie gekommen waren.
    Die Schafe blinzelten nervös nach draußen. Sie wollten zurück. Sie mussten zurück. Aber wo war zurück? Wegwollen half nicht viel, solange man nirgends hinwollen konnte.
    Während sie unentschlossen hinaus ins Weiß starrten, war auf der Straße eine alte Frau aufgetaucht, mit einem wollenen Tuch um den Kopf und einer Plastiktüte in der Hand. Sie ging sehr langsam und vorsichtig, und weil sie so langsam ging, bemerkten die Schafe sie erst, als sie schon ganz nah war. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als in die Schatten des Bushäuschens zurückzuweichen und zu hoffen, dass die Frau vorüberziehen würde wie eine hypnotisierte Schnecke.
    Doch in der Aufregung schlug Heides Hinterhuf gegen die Blechwand des Häuschens, und Metall schepperte. Die Frau drehte den Kopf in ihre Richtung. Ihre Augen waren glasumrandet und groß wie Eulenaugen. Die Frau quakte sie an, dann schlurfte sie weiter, unendlich langsam.
    »Sie sagt, wir sollen besser zu Fuß gehen«, sagte Madouc. »Bei dem Wetter kommt kein Bus. Und sonst eigentlich auch nicht.«
    Leichter gesagt als getan. Trotzdem: sie mussten zurück, so schnell wie möglich! Die anderen mussten wissen, was sie gestern in dem Haus im Wald gehört hatten, bevor es zu spät war.
    Nachdem Madouc mit einem kühnen Sprung bei ihnen im Auto gelandet war, waren sie noch eine Weile gerollt, immer langsamer. Dann war das Auto mit einem Seufzen stehen geblieben.
    Die Schafe äugten unbehaglich nach draußen. Sie standen mitten im Wald. Das extragroße Auto war nicht nur übereifrig, es war obendrein auch noch dumm! Eine Tür klackte, und Schritte kamen näher. Die Schafe drängten sich in der dunkelsten Ecke zusammen, doch der Mensch mit den Gummistiefeln kippte nur die lose Schwanzklappe wieder nach oben. Was für ein Mensch? Die Schafe konnten nicht mehr als einen grünen Anorak mit Kapuze

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