Garou
betreten. Eine Schäferin ohne Nase würde nicht das Gleiche sein.
Sie waren kurz davor, sich in den Heuschuppen zurückzuziehen, als Monsieur Fronsac auf die Weide kam, eilig, eine Flasche in der Hand. Er klopfe an die Schäferwagetür, quakte, reichte die Flasche durch den Spalt und eilte dann wieder zurück Richtung Schloss. Tess schlüpfte aus der Tür und rollte sich im Schnee.
Kurze Zeit später näherte sich der Weide ein Schnurren. Ein glattes, metallenes Schnurren, wie von einer riesigen, mechanischen Katze.
»Ein Auto«, sagte Lane.
Die Schafe spähten zur Straße, wo sich Autos normalerweise aufzuhalten pflegten, aber da war nichts. Nur Dunkelheit. Und dann kam doch ein Auto. Ein dunkles Auto kroch vorsichtig mit geschlossenen Augen auf den Hof, schauderte und schwieg. Zwei dunkle Männer entstiegen ihm und eine Frau mit einer weißen Haube. Die Haube leuchtete blau in der Dunkelheit. Der kleinere der Männer (auch er war nicht besonders klein) hatte etwas Schneidendes in jeder Bewegung, und auch wenn er stillstand. Das Auto fürchtete sich vor ihm. Die beiden anderen fürchteten sich vielleicht auch ein bisschen.
Die Menschen gingen zu der Pforte, die direkt in den Turm führte, und das Auto rollte erleichtert weiter, mit dunklen Augen auf dunkler Straße, weg vom Schloss.
Alles verlief außergewöhnlich leise und sacht und dauerte nur ein paar Augenblicke, trotzdem ließ es bei den Schafen eine seltsame Unruhe zurück. Sie waren sicher, dass sie eben ein Anschleichen beobachtet hatten. Aber von wem? Und an was?
Sie waren gerade dabei, es sich endlich im Heuschuppen gemütlich zu machen, als Ritchfields aufgebrachtes Blöken sie wieder zurück auf die Weide rief.
Ritchfield stand im Schnee und regte sich auf.
»Rebecca!«, blökte er. »Rebecca hinter den Fenstern! Kein Schäfer darf die Herde verlassen!«
»Außer, er kommt zurück«, sagte Cloud beschwichtigend. »Oder sie.«
Die Schafe dachten. Der alte Leitwidder mochte manchmal ein bisschen durcheinander sein, aber er hatte noch immer die besten Augen der Herde. Und Rebecca war wichtig.
»Kannst du wirklich Rebecca sehen?«, fragte Lane.
Ritchfield sah sie fragend an.
»REBECCA?«, brüllte Lane.
Ritchfield nickte aufgeregt.
»Sie...«
Ritchfield bekam einen Niesanfall. »Sie steht...«
Ritchfield röchelte und hustete. »Sie geht...«
Der alte Widder keuchte und nieste. Dann hob er die Hörner und spähte mit stolzem Leitwidderblick zu den erleuchteten Fenstern hinüber. Die Schafe sahen ihn bewundernd an.
»Und?«, fragte Miss Maple.
»Und was?«, schnaubte Ritchfield ungeduldig.
»Was macht sie?«
Ritchfield überlegte einen Augenblick. »Nichts«, sagte er dann.
»Nichts?«, blökten die Schafe. Es kam ihnen ein bisschen wenig vor.
»Sie steht da und macht nichts«, sagte Ritchfield entschieden. »Und der Häher macht auch nichts«, fügte er hinzu. »Er trägt ein rotes Band um den Hals. Aber keine Glocke.« Es sollte nicht der Eindruck entstehen, er könne nicht genug erkennen.
Ein weiterer prüfender Blick zum Schloss. »Und jetzt...«
Ritchfield blökte erschrocken. »Er hat sie gerade in die Hand gebissen.«
Die Schafe sahen sich an. Das bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen!
»Sie sollte weglaufen!«, blökte Ramses. »Läuft sie weg?«
»Nein«, sagte Sir Ritchfield. »Aber sie ist rot im Gesicht. Sie gehen weiter, in das nächste Fenster, und...«
Wieder blökte Sir Ritchfield überrascht.
»Da ist Othello! In einem anderen Fenster!«
Seine Herde sah ihn skeptisch an.
»Und da ist Mopple!«
»Mopple?«, fragte Cordelia. »Im Schloss?« »Er frisst Blumen«, sagte Ritchfield.
Die Schafe sahen sich viel sagend an. Es gab keine Blumen im Winter. Jetzt war es heraus! Ritchfield phantasierte!
»Und Früchte«, sagte Sir Ritchfield. »Auf einem Tisch.«
»Und Sommergras, stimmt's?«, blökte Heide.
»Nein«, sagte Ritchfield. »Kein Sommergras. Aber ein Stück Stoff. Und Othello steht neben einem Wildschwein.« Ritchfield seufzte. Er war gerade dabei, die letzten Reste seiner Leitwidderglaubwürdigkeit einzubüßen, aber... wie die Luft roch! Wie ein Tag seiner Jugend, ein klarer, kalter, guter Tag____
»Was ist mit Rebecca?«, fragte Miss Maple.
»George ist im Schäferwagen!«, antwortete Sir Ritchfield gedankenverloren.
Von außen sah das Schloss größer aus als der Heuschuppen. Viel größer. Aber drinnen war es kleiner. Raum an Raum an Raum, und jeder von ihnen klein und lauernd. Es
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