Garp und wie er die Welt sah
haben!
Hochachtungsvoll,
(Mrs.) I.
B. Poole
Findlay,
Ohio
Dieser Brief traf Garp wie
ein Schlag – selten hatte er sich so gründlich missverstanden gefühlt. Warum
meinten die Leute immer, man könne nur entweder »komisch« oder »ernst« sein?
Garp hatte das Gefühl, die meisten Leute verwechselten Gründlichkeit mit Nüchternheit,
Ernst mit Tiefe. Anscheinend war man nur dann ernst, wenn es auch so klang. Vermutlich konnten andere Lebewesen nicht über sich
selbst lachen, und Garp glaubte, dass Lachen mit Mitgefühl zusammenhing, wovon
wir immer mehr brauchten. Er war schließlich ein humorloses Kind – und nie
religiös – gewesen, so nahm er vielleicht die Komödie ernster als andere.
Aber die Deutung, dass er sich
über andere Menschen lustig mache, schmerzte Garp;
und die Erkenntnis, dass seine Kunst ihn grausam erscheinen ließ, vermittelte
ihm [326] ein bohrendes Gefühl des Scheiterns. Sehr behutsam, als rede er im
obersten Stockwerk eines ausländischen, ihm unbekannten Hotels auf einen
potentiellen Selbstmörder ein, schrieb Garp seiner Leserin in Findlay, Ohio.
Liebe
Mrs. Poole!
Die Welt
ist ein Meer von Schmerz, die Menschen leiden schrecklich, wenige von uns
glauben an Gott oder erziehen ihre Kinder sehr gut, da haben Sie völlig recht.
Es stimmt auch, dass Leute, die Probleme haben, diese Probleme in der Regel
nicht »lustig« finden.
Horace
Walpole hat einmal gesagt, die Welt sei komisch für Menschen, die denken, und
tragisch für Menschen, die fühlen. Ich hoffe, Sie werden mir darin zustimmen,
dass Horace Walpole die Welt irgendwie vereinfacht, wenn er das sagt. Wir beide
denken sicherlich nicht nur, sondern fühlen auch. Was das Komische und das
Tragische betrifft, Mrs. Poole, so ist es in der Welt nicht klar getrennt. Aus
diesem Grund habe ich nie verstanden, warum »ernst« und »lustig« als Gegensätze
gelten. Für mich ist es einfach ein echter Widerspruch, dass die Probleme der
Menschen oft lustig sind und dass die Menschen oft und trotz allem traurig
sind.
Es
beschämt mich jedoch, dass Sie denken, ich würde die Menschen auslachen oder
mich über sie lustig machen. Ich nehme die Menschen sehr ernst. Die Menschen
sind sogar das Einzige, was ich ernst nehme. Deshalb habe ich nichts als
Verständnis dafür, wie die Menschen sich verhalten – und nichts als das Lachen,
um sie zu trösten.
Lachen
ist meine Religion, Mrs. Poole. Ich gebe zu, [327] dass mein Lachen den meisten
Religionen insofern gleicht, als es ziemlich verzweifelt ist. Ich möchte Ihnen
eine kleine Geschichte erzählen, um zu veranschaulichen, was ich meine. Die
Geschichte spielt in Bombay, Indien, wo jeden Tag viele Menschen verhungern;
aber nicht alle Menschen in Bombay hungern.
Unter der
nicht hungernden Bevölkerung von Bombay gab es eine Hochzeit, und zu Ehren der
Braut und des Bräutigams veranstaltete man ein Fest. Einige Hochzeitsgäste
kamen auf Elefanten zum Fest. Es war ihnen nicht wirklich bewusst, dass sie
angaben; sie benutzten die Elefanten einfach als Beförderungsmittel. Uns mag
das zwar als eine reichlich protzige Art des Reisens erscheinen, aber ich
glaube nicht, dass die Hochzeitsgäste es auch so sahen. Wahrscheinlich waren
die meisten von ihnen nicht unmittelbar dafür verantwortlich, dass rings um sie
herum zahllose Landsleute hungerten; die meisten von ihnen stellten ihre
eigenen Probleme und die Probleme der Welt nur zurück, um mit Freunden eine
Hochzeit zu feiern. Aber wenn Sie zu den hungernden
Indern gehört hätten und an dieser Hochzeitsgesellschaft vorbeigewankt wären
und die draußen abgestellten Elefanten gesehen hätten, wären Sie wahrscheinlich
irgendwie verstimmt gewesen.
Zu allem
Überfluss betranken sich einige Zecher bei der Hochzeitsfeier und schickten
sich an, ihrem Elefanten Bier zu geben. Sie füllten einen Eiskübel schwankten
zum Parkplatz hinaus und gaben ihrem schwitzenden Elefanten den ganzen Kübel.
Dem Elefanten schmeckte das Bier. Also gaben ihm die Zecher noch ein paar Kübel
voll.
[328] Wer
weiß schon, wie Bier auf einen Elefanten wirkt? Diese Leute meinten es nicht
böse, sie wollten sich nur einen Spaß machen – und alles spricht dafür, dass
ihr sonstiges Leben nicht allzu lustig war. Sie brauchten das Fest
wahrscheinlich. Aber diese Leute waren zugleich dumm und verantwortungslos.
Wenn sich
einer der vielen hungernden Inder auf den Parkplatz geschleppt und gesehen
hätte, wie die betrunkenen Hochzeitsgäste einen Elefanten mit Bier
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