Garp und wie er die Welt sah
gegenüber, aber er war furchtbar ungeduldig. Er
beurteilte nach seinen eigenen Maßstäben, wie viel von seiner Zeit und Geduld
jemand anders verdiente. Er konnte unendlich freundlich sein, bis er zu dem Schluss
kam, er sei lange genug freundlich gewesen. Dann machte er eine Kehrtwendung
und fing an zu brüllen.
Liebe
Irene!
[schrieb Garp an Mrs. Poole]
Sie
sollten entweder ganz aufhören, Bücher zu lesen, oder dabei Ihren Kopf
anstrengen.
Sehr
geehrter Schmutzfink,
[schrieb Irene Poole]
mein Mann
sagt, wenn Sie mir noch einmal schreiben, schlägt er Ihnen den Schädel ein.
Mit
vorzüglicher
Hochachtung,
Mrs. Fitz
Poole
[332] Lieber
Fitzy, liebe Irene!
[schoss Garp sogleich zurück]
Lecken
Sie mich am Arsch.
So kam ihm sein Sinn für
Humor abhanden, und die Welt ging seines Mitgefühls verlustig.
In der Pension
Grillparzer hatte Garp eine einerseits komische und andererseits
mitfühlende Saite angeschlagen. Die Geschichte setzte die Menschen in der Geschichte nicht herab – weder durch Effekthascherei
noch durch andere Überspitztheiten, die irgendetwas hervorheben sollten. Die
Geschichte zeichnete die Menschen auch nicht sentimental, noch schmälerte sie
auf andere Weise ihre Trauer.
Aber Garp hatte das Gefühl, die
Ausgeglichenheit seiner erzählerischen Kraft verloren zu haben. Sein erster
Roman Zaudern litt – seiner Meinung nach – unter der
prätentiösen Last all der faschistischen Ereignisse, an denen er nicht wirklich
teilgenommen hatte. Sein zweiter Roman krankte daran, dass es ihm nicht
gelungen war, sich genug vorzustellen – das heißt, er
hatte das Gefühl, dass seine Vorstellungskraft sich nicht weit genug über seine
doch recht alltägliche Erfahrung hinausgewagt hatte. Der
Hahnrei fängt sich kam ihm jetzt einigermaßen uninteressant vor – wie
eine weitere »reale«, aber ziemlich normale Erfahrung.
Tatsächlich hatte Garp inzwischen
den Eindruck, dass sein sorgloses Leben (mit Helen und den Kindern) ihn zu sehr
ausfüllte. Er spürte, dass er Gefahr lief, seinem schriftstellerischen Können
eine eher banale Begrenzung aufzuerlegen: indem er hauptsächlich über sich
selbst schrieb. Doch wenn er sehr weit aus sich herausblickte, sah er dort [333] nur
die Aufforderung, prätentiös zu sein. Seine Vorstellungskraft ließ ihn im Stich – »seine Wahrnehmung ein schwaches Binsenlicht«. Wenn jemand ihn fragte, was
das Schreiben mache, brachte er als Antwort nur eine kurze grausame Parodie auf
die arme Alice Fletcher zustande. »Ich habe Schluts gemacht«, sagte Garp.
[334] 9
Der ewige Gatte
Im Branchenteil von
Garps Telefonbuch stand Ehe kurz hinter Dünger. Nach Düngemittel kam Durchschreibebücher, Edelputz, Edelstahl, Edelsteine und EDV , und dann
kam Ehe- und Familienberatung. Garp hatte nach Düngemittel geschaut, als er über Ehe stolperte; er hatte ein paar harmlose Fragen, Rasendünger betreffend, als das
Wort Ehe seinen Blick anzog und interessantere und
beunruhigendere Fragen aufwarf. Garp hatte zum Beispiel nie gewusst, dass es
mehr Eheberater als Düngemittelhändler gab. Aber das hängt sicher davon ab, wo
man lebt, dachte er. Ob die Leute auf dem Land nicht doch mehr mit Düngemitteln
zu tun hatten?
Garp war fast elf Jahre
verheiratet; in dieser Zeit hatte er wenig Bedarf an Düngemitteln und noch
weniger an Beratung gehabt. Garp interessierte sich nicht aufgrund persönlicher
Schwierigkeiten für die lange Namensliste im Branchenbuch, sondern weil er viel
Zeit damit verbrachte, sich vorzustellen, wie es wohl wäre, wenn er eine Arbeit
hätte.
Es gab das Christliche
Beratungszentrum und den Beratungsdienst der Kirchengemeinde; Garp stellte sich
freundliche Geistliche vor, die sich ständig ihre trockenen, fleischigen Hände
rieben. Sie sprachen runde, feuchte Sätze, [335] wie Seifenblasen, und sagten
Dinge wie: »Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass die Kirche bei
individuellen Problemen wie dem Ihren eine große Hilfe sein kann. Der einzelne
Mensch muss seine individuelle Lösung suchen, er muss seine Individualität
behalten. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht,
dass viele Menschen ihre Individualität erst in der Kirche erkannt haben.«
Da saß das enttäuschte Paar, das
gehofft hatte, über den gleichzeitigen Orgasmus zu sprechen – Mythos oder
Realität?
Garp stellte fest, dass Kleriker
gern berieten; es gab einen lutherischen Sozialdienst, es gab einen Reverend
Dwayne Kuntz (der »anerkannt« war) und eine Louise Nagle, die
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