Garp und wie er die Welt sah
Kind
schafft es, ein Paar zu bleiben; das Kind entwickelt keine erkennbaren [317] Macken.
Die letzte Szene in dem Roman ist die zufällige Begegnung der beiden Frauen:
Sie fahren zur Weihnachtszeit auf zwei Rolltreppen aneinander vorbei, die
Furzerin nach oben, die Frau mit dem gefährlichen rechten Arm nach unten. Beide
sind mit Päckchen beladen. In dem Augenblick, als sie aneinander vorbeigleiten,
entlässt die Frau mit der unkontrollierbaren Blähsucht einen lauten,
durchdringenden Furz, und die Spastische versetzt einem alten Mann vor ihr auf
der Rolltreppe einen Hieb mit ihrem zuckenden Arm und stößt ihn die
abwärtsfahrende Treppe hinab, so dass er eine Woge von Menschen mit sich reißt.
Aber es ist Weihnachten. Die Rolltreppen sind brechend voll und laut; niemand
wird verletzt, und alles wird, wie es sich vor Weihnachten gehört, vergeben.
Die beiden Frauen, die sich auf ihren mechanischen Förderbändern voneinander
entfernen, scheinen mit heiterer Gelassenheit ihre jeweilige Bürde
anzuerkennen; sie lächeln einander grimmig zu.
»Es ist eine Komödie!«, rief Garp
immer wieder aus. »Niemand hat das kapiert. Es sollte sehr lustig sein. Was man für einen Film daraus machen könnte!«
Aber niemand kaufte auch nur die
Taschenbuchrechte.
Wie man schon am Schicksal des
Mannes sah, der nur auf seinen Händen gehen konnte, hatte Garp eine Schwäche
für Rolltreppen.
Helen sagte, niemand in der Abteilung
für Englische Literatur habe mit ihr über Der Hahnrei fängt
sich gesprochen; beim Zaudern hatten viele
ihrer wohlmeinenden Kollegen wenigstens das Gespräch gesucht. Helen sagte, das
Buch sei ein Übergriff auf ihre Intimsphäre, und sie hoffe, [318] die ganze
Angelegenheit sei eine fixe Idee gewesen, von der Garp bald loskommen werde.
»Du lieber Himmel, glauben sie
etwa, dass du es bist?«, fragte Garp. »Was zum Teufel
ist eigentlich mit deinen blöden Kollegen los? Furzt du etwa drüben in den
Fluren? Schlägst du bei Sitzungen um dich? Hat der arme Harry in seinen
Vorlesungen gestottert?«, schrie Garp. »Bin ich blind?«
» Ja, du
bist blind«, sagte Helen. »Du hast deine eigenen Begriffe für Dichtung und
Wahrheit, aber glaubst du denn, dass andere Leute dein System kennen? Es ist
alles deine persönliche Erfahrung – jedenfalls
irgendwie, wie viel du auch erfindest, selbst wenn es nur eine imaginierte Erfahrung ist. Die Leute glauben, dass ich es bin, sie glauben, dass du
es bist. Und manchmal glaube ich es auch.«
Der Blinde im Roman ist ein
Geologe. »Sehen deine Leute mich jemals mit Felsbrocken herumspielen?«, brüllte
Garp.
Die blähsüchtige Frau arbeitet
als freiwillige Hilfsschwester in einem Krankenhaus. »Hat meine Mutter sich
etwa beschwert?«, fragte Garp. »Schreibt sie mir etwa, dass sie kein einziges
Mal im Krankenhaus gefurzt hat – nur zu Hause und nie unkontrolliert?«
Aber Jenny Fields beschwerte sich
tatsächlich bei ihrem Sohn über Der Hahnrei fängt sich. Sie erklärte ihm, er habe sich für ein enttäuschend begrenztes Thema von
geringer Allgemeingültigkeit entschieden. »Sie meint Sex«, sagte Garp. »Das ist
großartig! Eine Frau, die nie ein sexuelles Verlangen gespürt hat, hält
Vorträge darüber, was allgemeingültig ist. Und der Papst, der Keuschheit
geschworen [319] hat, entscheidet für Millionen über das Problem der
Empfängnisverhütung. Die Welt ist verrückt!«, rief Garp.
Jennys neueste Freundin war
einsneunzig groß – eine Transsexuelle namens Roberta Muldoon. Roberta, ehemals
Robert Muldoon und Linksaußen bei den Philadelphia Eagles, hatte seit ihrer
erfolgreichen Geschlechtsumwandlung fünfundzwanzig Kilo verloren und wog jetzt
achtzig Kilogramm. Die Östrogendosen hatten ihre einst enorme Kraft und auch
ihre Ausdauer geschwächt; Garp vermutete außerdem, dass ihre berühmten
»schnellen Hände« nicht mehr so schnell waren, aber Roberta Muldoon war eine
großartige Gefährtin für Jenny Fields. Roberta betete Garps Mutter an. Jennys
Buch Eine sexuell Verdächtige hatte Robert Muldoon
den Mut gegeben, sich einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen – als er eines
Winters wegen einer Knieoperation in einem Krankenhaus in Philadelphia lag.
Jenny Fields unterstützte jetzt
Robertas Feldzug gegen die Fernsehgesellschaften, die sich, wie Roberta
behauptete, insgeheim abgesprochen hatten, sie nicht als Reporterin für die
Footballsaison einzustellen. Robertas Footballwissen habe seit dem ganzen
Östrogen um keinen Deut abgenommen,
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