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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Dad«,
sagte er, »und sie ist noch bei der Arbeit.«
    [341]  Natürlich. Garp lächelte
dümmlich. Dann sah er, dass Duncan sein Fahrrad nehmen wollte, und rief durch
die Tür hinter ihm her: »Warum gehst du nicht zu Fuß, Duncan?«
    »Warum sollte ich?«, sagte Duncan
gereizt.
    Damit du dir nicht die
Wirbelsäule brichst, wenn dich ein verrückt gewordener Teenager oder ein
betrunkener Mann mit einem Herzinfarkt umfährt, dachte Garp – und deine schöne,
warme Brust gegen den Bordstein knallt, und dein besonderer Schädel aufplatzt,
wenn du auf dem Bürgersteig landest, und irgendein Arschloch dich wie einen
Hund, den man in der Gosse gefunden hat, in einen alten Teppich wickelt. Dann kommen
die Schwachköpfe aus dem Vorort angelaufen und raten, wem er gehört. (»Ich
glaube, er wohnt in dem grünweißen Haus Ecke Elm Street und Dodge Street.«)
Dann fährt dich jemand heim, läutet an der Tür und sagt zu mir: »Hm,
Verzeihung«, zeigt auf die Schweinerei auf dem blutigen Rücksitz und fragt:
»Ist das Ihrer?« Aber Garp sagte nur: »Also, meinetwegen, Duncan, nimm das Fahrrad. Aber sei vorsichtig!«
    Er beobachtete, wie Duncan die
Straße überquerte, bis zur nächsten Querstraße fuhr und sich sorgfältig umschaute,
ehe er abbog. (Braver Junge! Und das vorsichtige Handzeichen – aber vielleicht ist das nur zu meiner Beruhigung.) Es war ein sicherer
Vorort in einer kleinen, sicheren Stadt; anheimelnde Grünflächen,
Einfamilienhäuser – meist Professorenfamilien – und dann und wann ein größeres
Haus, das man in Apartments für graduierte Studenten aufgeteilt hatte. Ralphs
Mutter zum Beispiel schien für immer eine graduierte Studentin zu bleiben,
obwohl sie ein ganzes [342]  Haus für sich hatte – und obwohl sie älter war als
Garp. Ihr früherer Ehemann unterrichtete irgendein naturwissenschaftliches Fach
und zahlte ihr vermutlich Unterhalt. Garp fiel ein, dass Helen gehört hatte,
der Mann lebe mit einer Studentin zusammen.
    Wahrscheinlich ist Mrs. Ralph ein
herzensguter Mensch, dachte Garp; sie hat einen Jungen, den sie bestimmt liebt.
Sie versucht bestimmt ernsthaft, etwas aus ihrem Leben zu machen. Wenn sie bloß vorsichtiger wäre!, dachte Garp. Man muss vorsichtig sein;
die Leute waren sich nicht darüber klar. Es ist so leicht, alles
kaputtzumachen, dachte er.
    »Guten Tag!«, sagte jemand, oder
er dachte, jemand habe es gesagt. Er sah sich um,
aber wer auch immer ihn angesprochen hatte, er war weg – oder nie da gewesen.
Er merkte, dass er barfuß war (er hatte kalte Füße; es war Frühlingsanfang) und
mit einem Telefonbuch in der Hand auf dem Bürgersteig vor seinem Haus stand. Er
hätte sich gern weiter M. Neff und die Sache mit der Eheberatung vorgestellt,
aber er wusste, dass es spät war – er musste Abendessen machen, und er hatte
noch nicht einmal eingekauft. Eine Straße weiter hörte er das Brummen der
Motoren, die die großen Kühlaggregate im Supermarkt antrieben. (Deshalb waren
sie in dieses Viertel gezogen – damit Garp zu Fuß einkaufen gehen konnte,
während Helen mit dem Auto zur Arbeit fuhr. Außerdem war in der Nähe ein Park,
wo er laufen konnte.) An der Rückseite des Supermarkts waren Ventilatoren, und
Garp konnte hören, wie sie die verbrauchte Luft aus den Gängen sogen und
schwache Lebensmitteldüfte über den Häuserblock bliesen. Garp mochte das. Er
hatte das Herz eines Kochs.
    [343]  Er verbrachte die Tage mit
Schreiben (oder dem Versuch zu schreiben), Laufen und Kochen. Er stand früh auf
und machte Frühstück für sich und die Kinder; zum Mittagessen kam niemand heim,
und Garp selbst aß nie zu Mittag. Er machte jeden Abend das Abendessen für
seine Familie. Es war ein Ritual, das er liebte, aber sein Ehrgeiz als Koch
hing davon ab, wie gut sein Schreibtag gewesen und wie gut er gelaufen war.
Wenn er mit dem Schreiben nicht vorankam, rächte er sich an sich selbst, indem
er lang und angestrengt lief; manchmal erschöpfte ihn ein schlechter Schreibtag
aber auch so sehr, dass er kaum eine Meile laufen konnte; dann versuchte er,
den Tag mit einem Festmahl zu retten.
    Helen konnte an den Dingen, die
er kochte, nie erkennen, was für einen Tag Garp gehabt hatte; etwas Besonderes
konnte bedeuten, dass er etwas feiern wollte, aber es konnte auch bedeuten,
dass das Essen das Einzige war, was gutgegangen, dass
das Kochen die einzige Tätigkeit war, die Garp vor der Verzweiflung rettete.
»Wenn man sich Mühe gibt«, schrieb Garp, »wenn man gute Zutaten verwendet

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