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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Aufschriften waren.
    »Tut mir leid, Sir«, sagte der
Pilot. »Das ließ sich nicht verhindern.« Aber Garp drängte sich an ihm vorbei,
drückte einen Geheimpolizisten in seinen Sitz, stieß die Stewardess aus dem
Gang. Als er die Tür öffnete, sah Garp, dass sie nach draußen führte – in die
vorbeibrausende Luft –, und ehe er laut nach Duncan rufen konnte, wurde Garp
durch die offene Tür in den Himmel gesogen, wo er hinter seinem Sohn hersauste.

[385]  11
    Mrs. Ralph
    Wenn Garp einen großen,
naiven Wunsch hätte äußern dürfen, dann hätte er sich gewünscht, er könne die
Welt sicher machen. Sicher für Kinder und für
Erwachsene. Die Welt kam ihm unnötig gefährlich für beide vor.
    Nachdem Garp und Helen sich
geliebt hatten und Helen eingeschlafen war und er selbst geträumt hatte, zog
Garp sich an. Als er sich aufs Bett setzte, um sich die Laufschuhe
zuzuschnüren, setzte er sich aus Versehen auf Helens Bein und weckte sie. Sie
streckte die Hand nach ihm aus und fühlte die Turnhose.
    »Wohin willst du?«, fragte sie.
    »Sehen, was Duncan macht«, sagte
er. Helen richtete sich auf den Ellbogen auf und sah auf ihre Uhr. Es war kurz
nach ein Uhr nachts, und sie wusste, dass Duncan bei Ralph war.
    »Wie willst du sehen, was Duncan
macht?«, fragte sie Garp.
    »Ich weiß nicht«, sagte Garp.
    Wie ein Amokläufer, der
hinter seinem Opfer herjagt, wie ein Kinderschänder, vor dem alle Eltern Angst
haben, pirscht Garp durch den schlafenden, grün und dunkel daliegenden Vorort
mit seinen vor sich hin schnarchenden und träumenden Bewohnern; ihre Rasenmäher
stehen still, [386]  und weil es so kühl ist, ihre Klimaanlagen ebenso. Ein paar
Kühlschränke summen, und durch einige offene Fenster dringt das leise
Zwitschern der Late Show und das dazugehörige
blaugraue Bildschirmflimmern. Garp muss bei diesem Flimmern an Krebs denken,
weil es genauso betäubend ist und sich überall einschleicht wie diese
heimtückische Krankheit. Vielleicht ist Fernsehen ja tatsächlich krebs erregend, denkt Garp; aber eigentlich ist es eher Ärger , der an ihm nagt, der Ärger eines Schriftstellers, der
weiß, dass vor jeder flimmernden Mattscheibe jemand sitzt, der nicht liest.
    Garp läuft auf leisen Sohlen
durch die Straßen; er möchte niemandem begegnen. Seine Laufschuhe sind locker
geschnürt, seine Turnhose flattert; er hat kein Suspensorium angelegt, weil er
nicht die Absicht hatte zu laufen. Trotz der kühlen Frühlingsluft läuft er mit
nacktem Oberkörper. Aus den dunklen Häuserndringtvereinzeltes Hunderöcheln, während Garp vorbeiläuft. Kurz
nach der Liebe, stellt Garp sich vor, ist sein Duft so intensiv wie der einer
frisch aufgeschnittenen Erdbeere. Er weiß, dass die Hunde ihn riechen können.
    In allen Vororten gibt es
Polizeipatrouillen, und Garp hat plötzlich Bedenken, dass er gegen irgendeine
ungeschriebene Bekleidungsvorschrift verstoßen und deshalb – oder weil er
keinen Ausweis bei sich hat – festgenommen werden könnte. Er hastet weiter,
weil er unbedingt Duncan zu Hilfe eilen und seinen Sohn vor der brünstigen Mrs.
Ralph retten will.
    Eine junge Frau auf einem
unbeleuchteten Fahrrad stößt beinahe mit ihm zusammen, ihre Haare wehen hinter
ihr her, ihre nackten Knie leuchten, ihr Atem riecht für Garp [387]  wie eine
verblüffende Mischung aus frischgemähtem Rasen und Zigaretten. Garp duckt sich
ins Gebüsch, sie schreit auf und kann gerade noch ihren Lenker herumreißen.
Dann steigt sie wieder in die Pedale und radelt, ohne sich umzusehen, so
schnell wie möglich von Garp weg. Vielleicht hält sie ihn wegen seines nackten
Oberkörpers und der nackten Waden für einen Exhibitionisten, der jederzeit seine
Turnhose fallen lassen könnte. Wahrscheinlich war sie irgendwo, wo sie nicht
hätte sein dürfen, und nun blüht ihr zu Hause ein Donnerwetter, denkt Garp. Ihm
selbst liegt gerade der Gedanke an Duncan und Mrs. Ralph schwer auf der Seele…
    Als Garp das Haus von Ralph
erblickt, findet er, es sollte den Preis für die beste Hausbeleuchtung im
Viertel verliehen bekommen; in allen Fenstern ist Licht, die Haustür steht
sperrangelweit offen, der krebserregende Fernseher ist auf brutale Lautstärke
gestellt. Garp befürchtet schon, dass Mrs. Ralph eine Party gibt, doch als er
sich über den mit Hundehaufen und defekten Sportutensilien garnierten Rasen
näher heranpirscht, beschleicht ihn im Gegenteil das mulmige Gefühl, das Haus
könnte menschenleer sein. Da, im giftig durch das mit Schuhen

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