Garp und wie er die Welt sah
Schreiner, mit dem sie
schlief, eine kleine Karre für das Hinterteil des Hundes bauen. Die Karre hatte
zwei Räder, so dass der Hund einfach mit seinen Vorderbeinen ging und sein
totes Hinterteil auf der kleinen Karre hinter sich herzog.«
»Mein Gott«, sagte Helen.
»Du glaubst nicht, was für ein Geräusch diese kleinen Räder machten«, sagte Garp.
»Wahrscheinlich nicht«, sagte
Helen.
»Mutter hat es angeblich nicht
gehört«, sagte Garp, »aber das knirschende Rollen war so mitleiderregend – es
war schlimmer, als wenn der Hund das kleine dumme Mädchen anbellte. Und
natürlich konnte der Hund nicht gut um Ecken laufen, ohne ins Schleudern zu
kommen. Er hoppelte und nahm die Kurve, aber seine Hinterräder rutschten
schneller, als er hoppeln konnte, und er kippte um. Wenn er auf der Seite lag,
konnte er nicht allein wieder aufstehen. Ich war anscheinend der Einzige, der
ihn in dieser misslichen Lage sah – zumindest war ich immer derjenige, der in den Durchgang lief und ihn wieder aufrichtete. Sobald
er wieder auf seinen Rädern war, versuchte er, mich zu beißen«, sagte Garp.
»Aber es war leicht, ihm davonzulaufen.«
»Eines Tages«, sagte Helen, »hast
du den Schnauzer also losgebunden, und er lief auf die Straße, ohne sich vorher
umzuschauen. Und kein Mensch brauchte sich mehr zu ärgern. Die Witwe und der
Schreiner heirateten.«
[380] »So nicht«, sagte Garp.
»Ich will die Wahrheit wissen«,
sagte Helen schläfrig. »Was ist dem verdammten Schnauzer passiert?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Garp.
»Mutter und ich kehrten in dieses Land zurück, und alles andere weißt du.«
Helen, die fast eingeschlafen
war, wusste, dass nur ihr Schweigen Garp dazu bringen konnte, die Wahrheit zu
enthüllen. Sie wusste, dass diese Geschichte ebenso erfunden sein konnte wie
die anderen Versionen, oder dass die anderen Versionen weitgehend wahr sein
konnten und dass selbst diese hier weitgehend wahr sein konnte. Bei Garp war
jede Kombination möglich.
Helen schlief bereits, als Garp
sie fragte: »Welche Geschichte gefällt dir besser?« Die Liebe machte Helen
immer müde, und sie fand, dass der Klang von Garps nicht verstummender Stimme
sie noch müder machte. So schlief sie am liebsten ein: wenn sie sich geliebt
hatten und Garp noch redete.
Das frustrierte Garp. Zur
Schlafenszeit waren seine Motoren fast kalt. Aber die Liebe brachte ihn wieder
auf Touren, ihm war nach Marathongesprächen, Essen, langem Lesen, ziellosem
Herumstöbern. Nur selten versuchte er in solchen Augenblicken zu schreiben,
aber manchmal schrieb er Mitteilungen an sich selbst über die Dinge, die er
später schreiben wollte.
Doch nicht in dieser Nacht. Er
schlug vielmehr die Decken zurück und betrachtete die schlafende Helen; dann
deckte er sie wieder zu. Er ging in Walts Zimmer und betrachtete ihn. Duncan
schlief bei Mrs. Ralph; als Garp die Augen schloss, sah er einen Schimmer am
Horizont des [381] Vororts, da, wo er sich das gefürchtete Haus von Ralph
vorstellte – in Flammen.
Garp betrachtete Walt, und das
beruhigte ihn. Garp genoss es, das Kind so genau zu inspizieren; er legte sich
neben Walt und roch den frischen Atem des Jungen. Dabei fiel ihm ein, wie sich
Duncans Schlafatem in den säuerlichen Atem der Erwachsenen verwandelt hatte. Es
war eine traurige Entdeckung für Garp gewesen, kurz nach Duncans sechstem
Geburtstag, als er roch, dass Duncans Atem im Schlaf plötzlich abgestanden und
leicht faulig roch. Es war, als hätte in ihm der Prozess des Verfalls, des
langsamen Sterbens schon begonnen. Damals war sich Garp zum ersten Mal der
Sterblichkeit seines Sohnes bewusst geworden. Zusammen mit diesem Geruch
erschienen die ersten Verfärbungen und Flecken auf Duncans vollkommenen Zähnen.
Vielleicht hing es nur damit zusammen, dass Duncan sein erstes Kind war, aber
er machte sich mehr Sorgen um Duncan als um Walt – obwohl ein Fünfjähriger
gefährdeter ist (als ein Zehnjähriger), was die üblichen Kinderunfälle betrifft.
Und was sind das für Unfälle?, fragte sich Garp. Von Autos überfahren zu
werden? An Erdnüssen zu ersticken? Von Unbekannten geraubt zu werden? Krebs war
zum Beispiel ein solcher Unbekannter.
Es gab so viel, worüber man sich
Sorgen machen konnte, wenn man sich um Kinder Sorgen machte, und Garp machte
sich so viel Sorgen über alles; manchmal, besonders wenn er unter
Schlafstörungen litt, meinte Garp, er sei psychisch nicht geeignet als Vater.
Dann machte er sich auch darüber Sorgen und
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