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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte
erst recht Angst um seine Kinder. Wenn sich nun herausstellte, dass er ihr größter Feind war?
    [382]  Kurz darauf schlief er neben
Walt ein, aber Garp war ein furchtbarer Träumer; er schlief nicht lange. Bald
stöhnte er; seine Achselhöhle schmerzte. Plötzlich fuhr er auf, Walts kleine
Faust hatte sich in den Haaren seiner Achselhöhle verfangen. Auch Walt stöhnte.
Garp löste sich von dem wimmernden Kind – er hatte das Gefühl, dass der Junge
denselben Traum träumte, unter dem Garp gelitten hatte, als hätte sein
zitternder Körper dem Jungen Garps Traum übermittelt. Aber Walt hatte seinen
eigenen Alptraum.
    Garp wäre nicht auf den Gedanken
gekommen, dass seine lehrreiche Geschichte von dem Kriegshund, der ihn
ärgernden Katze und dem unvermeidlichen, todbringenden Lastwagen Walt ängstigen
könnte. Aber Walt sah in seinem Traum den großen stillgelegten Militärlaster:
Er hatte Größe und Form eines Panzers, war mit Kanonen und rätselhaften
Instrumenten und böse aussehenden Anhängseln bestückt, und die
Windschutzscheibe war ein Spalt, nicht größer als ein Briefkastenschlitz.
Natürlich war er ganz schwarz.
    Der an den Laster angebundene
Hund war so groß wie ein Pony, wenn auch magerer und viel grausamer. Er
trottete im Zeitlupentempo auf das Ende des Durchgangs zu und zog seine schwach
wirkende Kette hinter sich her. Die Kette sah aus, als sei sie kaum stark
genug, um den Hund zurückzuhalten. Am Ende des Durchgangs taumelte der kleine
Walt auf Puddingbeinen im Kreis herum, unfähig zu fliehen. Er schaffte es nicht
einmal, richtig zu gehen – um sich von dem
schrecklichen Hund zu entfernen. Als die Kette straff gespannt war, machte der
gewaltige Laster einen Satz nach vorn, als habe man ihn angelassen, und der
Hund war über ihm. Walt griff in das verschwitzte harte [383]  Fell des Hundes (die
Achselhöhle seines Vaters), verlor aber irgendwie den Halt. Der Hund war an
seiner Kehle, aber Walt lief wieder auf die Straße, wo Laster wie der
stillgelegte Militärlaster mit dicken, wie Schmalzkringel nebeneinander
aufgesteckten Hinterrädern schwerfällig vorbeirumpelten. Und wegen der schmalen
Schießschlitze (an Stelle der Windschutzscheiben) konnten die Fahrer natürlich
nichts sehen; sie konnten den kleinen Walt nicht sehen.
    Dann gab sein Vater ihm einen
Kuss, und Walts Traum verflüchtigte sich fürs Erste. Er war wieder irgendwo in
Sicherheit; er konnte seinen Vater riechen und seine Hände fühlen, und er hörte
seinen Vater sagen: »Das war nur ein Traum, Walt.«
    Garp träumte, dass er und
Duncan in einem Flugzeug saßen. Duncan musste zur Toilette. Garp deutete den
Gang hinunter; dort hinten waren Türen, eine zu einer kleinen Küche, eine zum
Cockpit, eine zum Waschraum. Duncan wollte, dass sein Vater ihn hinbrachte, ihm
zeigte, welche Tür die richtige war, aber Garp war
böse auf ihn.
    »Du bist zehn Jahre alt, Duncan«,
sagte Garp. »Du kannst doch lesen. Oder frag die Stewardess.« Duncan schlug die
Beine übereinander und maulte. Garp schob das Kind zum Gang. »Sei ein großer
Junge«, sagte er. »Es ist eine von den Türen dahinten. Geh.«
    Missmutig ging der Junge durch den
Mittelgang zu den Türen. Eine Stewardess sah ihn lächelnd an und fuhr ihm mit
der Hand durchs Haar, als er an ihr vorbeiging, aber Duncan fragte sie nicht.
Das war typisch. Er gelangte ans Ende des Gangs und blickte zurück zu Garp;
Garp winkte [384]  ihm ungeduldig zu. Duncan zuckte hilflos mit den Schultern. Welche Tür?
    Garp stand erbittert auf.» Probier eine!«, rief er Duncan
durch den Gang zu, und alle Leute starrten Duncan an. Duncan war verlegen und
öffnete sogleich eine Tür – die Tür, die ihm am nächsten war. Er warf seinem
Vater einen schnellen, überraschten, aber durchaus mutigen Blick zu, bevor er
durch die Tür, die er geöffnet hatte, gezogen zu werden schien. Die Tür schlug
hinter Duncan von selbst wieder zu. Die Stewardess schrie. Das Flugzeug verlor
ein wenig an Höhe und flog dann wieder ruhig weiter. Alle sahen aus den
Fenstern; einige Leute fielen in Ohnmacht, einige erbrachen sich. Garp lief
durch den Gang nach vorn, aber der Pilot und ein anderer, offiziell aussehender
Mann hinderten Garp daran, die Tür zu öffnen.
    »Sie muss immer verriegelt sein,
Sie dumme Kuh!«, schrie der Pilot die schluchzende Stewardess an.
    »Ich dachte, sie sei verriegelt!«, jammerte sie.
    »Wohin führt sie?«, rief Garp.
»Mein Gott, wohin führt sie?« Er sah, dass an den
Türen keine

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