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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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und
Kleidungsstücken übersäte Wohnzimmer pulsierenden Licht des Fernsehers, lümmeln
Duncan und Ralph wie leblos in ihren Schlafsäcken auf dem Boden vor dem
ramponierten Sofa; sie schlafen (natürlich), sehen aber so aus, als habe das Fernsehen
sie dahingemeuchelt, so blutleer, wie ihre Gesichter in der Beleuchtung wirken.
    Aber wo steckt bloß Mrs. Ralph?
Die ganze Nacht außer Haus? Bei Festbeleuchtung und offener Tür zu Bett [388]  gegangen,
während die Jungs vom Licht des Fernsehers übergossen werden? Hoffentlich hat
sie wenigstens den Herd abgestellt. Überall im Wohnzimmer stehen volle
Aschenbecher herum, und Garp hält besorgt nach möglicherweise noch glimmenden
Zigaretten Ausschau. Vorsichtig schleicht er im Schutz der Hecke zum Küchenfenster,
schnuppert, ob es irgendwo nach Gas riecht, und schaut hinein.
    Im Spülbecken sieht er einen Berg
Geschirr, auf dem Küchentisch eine Flasche Gin; Garp kann den sauren Geruch
ausgepresster Limonen bis nach draußen riechen. Die Schnur der Deckenlampe, die
wohl einmal zu kurz war, ist mit einer längs durch die Mitte durchgeschnittenen
Strumpfhose verlängert worden (Verbleib der anderen Hälfte unklar). Der
Nylonfuß hängt, von einem leisen Lufthauch bewegt, über der Ginflasche; er
strotzt vor Fettflecken. Garp kann keinen Brandgeruch feststellen, was aber
nicht ausschließt, dass nicht trotzdem eine der Herdplatten an ist, zwischen
die sich kunstvoll die Katze drapiert hat, um sich, das Köpfchen bequem auf
einen Pfannenstiel gestützt, den pelzigen Bauch an den Kontrollampen zu wärmen.
Garp und die Katze starren einander an. Die Katze blinzelt als Erste.
    Aber Garp bezweifelt, dass Mrs.
Ralph die nötige Konzentration aufbringen könnte, um sich in eine Katze zu
verwandeln. Ihr Haus – ihr Leben – ist in heilloser
Unordnung, und für ihn sieht es so aus, als hätte die Frau entweder das
sinkende Schiff verlassen oder sei im Obergeschoss ohnmächtig geworden. Liegt
sie im Bett? Oder ertrunken in der Badewanne? Und wo ist die Bestie, deren
gefährliche Exkremente den Rasen in ein Minenfeld verwandelt haben?
    [389]  In diesem Moment fällt mit
Getöse eine schwere Gestalt die Treppe herunter, knallt gegen die Küchentür,
worauf die Katze erschrocken aufspringt und dabei die fettverschmierte
Eisenpfanne vom Herd stößt. Es ist Mrs. Ralph, die in einem kimonoähnlichen,
nur notdürftig um ihre nackten, dicken Hüften gerafften Kleid stöhnend auf dem
Linoleumboden sitzt, in der Hand einen wie durch ein Wunder nicht verschütteten
Drink. Überrascht betrachtet sie den Drink und nippt daran; ihre großen, ölig
glänzenden Hängebrüste sacken gegen ihren von Sommersprossen übersäten
Oberkörper, als sie sich auf die Ellbogen zurücksinken lässt und rülpst. Die
Katze faucht sie aus einer Ecke der Küche vorwurfsvoll an.
    »Hör schon auf, Titsy«, sagt Mrs.
Ralph zu der Katze. Doch als sie ächzend aufzustehen versucht, fällt sie flach
auf den Rücken. Ihre Schamhaare sind naß und glitzern Garp entgegen; ihr von
Schwangerschaftsstreifen überzogener Bauch ist weiß und wirkt wie blanchiert,
als wäre Mrs. Ralph zu lange unter Wasser gewesen. »Ich schaffe dich raus hier,
und wenn es das Letzte ist, was ich tue«, erklärt Mrs. Ralph der Küchendecke
oder vielmehr, wie Garp vermutet, der Katze. Für ihn sieht es so aus, als hätte
sie sich den Knöchel gebrochen, oder vielleicht auch das Rückgrat, und sei bloß
zu betrunken, um es zu merken.
    Garp schleicht am Haus entlang
weiter zur offenen Haustür, ruft hinein: »Ist da jemand?« Die Katze schlüpft
zwischen seinen Beinen hindurch ins Freie. Garp wartet. Aus der Küche kommt ein
Grunzen – das schabende Geräusch von rutschendem Fleisch.
    »Das haut mich jetzt aber
wirklich um«, lallt Mrs. Ralph, [390]  als sie in dem verwaschenen geblümten Kleid
torkelnd in der Haustür erscheint; den Drink hat sie irgendwo abgestellt.
    »Ich sah überall Licht brennen
und dachte, es sei vielleicht irgendetwas passiert«, murmelt Garp.
    »Sie kommen zu spät«, teilt Mrs.
Ralph ihm mit. »Die Jungen sind beide tot. Ich hätte sie nicht mit der Bombe
spielen lassen sollen.« Sie sucht in Garps unbewegtem Gesicht nach einem
Anzeichen von Humor, muss aber feststellen, dass er bei diesem Thema ziemlich
humorlos ist. »Na gut« sagt sie. »Aber Sie möchten sicher die Leichen sehen,
oder?« Sie zieht ihn am Gummibund seiner Turnhose zu sich her. Garp, der sich
plötzlich klarmacht, dass er kein Suspensorium

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