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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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hatte. »Garp?«, flüsterte sie ihm ins Ohr. Seine Augenlider
flatterten, seine Lippen kamen näher. Um sie herum hing ein weißes Laken, ein
Vorhang an Schienen, der sie von der übrigen Station trennte. Links von Garp
lag ein »Äußerlicher« – Opfer eines Flammenwerfers, glitschig
vor Salbe, in Mull gehüllt. Er hatte keine Augenlider mehr, so dass er immer
alles zu beobachten schien, war aber blind. Jenny zog die klobigen
Schwesternschuhe aus, löste die weißen Strümpfe, schlüpfte aus dem Kittel. Sie
legte einen Finger an Garps Lippen.
    Auf der anderen Seite von Garps
weißverhängtem Bett lag ein »lebenswichtiges Organ«, das sich zum »Abwesenden«
entwickelte. Der Mann hatte einen Großteil seines Dickdarms und sein Rektum
eingebüßt; jetzt machte ihm die eine Niere zu schaffen, und seine Leber trieb
ihn zum [46]  Wahnsinn. Er hatte schreckliche Alpträume, in denen er zwanghaft versuchte,
zu urinieren und seinen Darm zu entleeren, obwohl das für ihn der Geschichte
angehörte: In Wirklichkeit merkte er gar nicht mehr, wenn er etwas davon
machte, denn er machte es durch Schläuche in Gummibeutel. Er stöhnte oft, und
anders als Garp mit vollständigen Worten.
    »Scheiße«, stöhnte er.
    »Garp?«, flüsterte Jenny. Sie
schlüpfte aus ihrem Slip, nahm ihren Büstenhalter ab und schlug die Decke
zurück.
    »Jesus«, hauchte der
»Äußerliche«; seine Lippen waren mit Brandblasen bedeckt.
    »Gottverdammte Scheiße!«, brüllte
das »lebenswichtige Organ«.
    »Garp«, sagte Jenny Fields. Sie
nahm seinen erigierten Penis und hockte sich rittlings auf ihn.
    »Aaa«, machte Garp. Auch das R war weg. Er war auf einen einzigen Vokal angewiesen, um
seine Freude oder Trauer auszudrücken. »Aaa«, machte er, als Jenny ihn in sich
einführte und sich mit ihrem ganzen Gewicht auf ihn setzte.
    »Garp?«,
fragte sie. »Okay, Garp? Ist es gut, Garp?«
    »Gut«, stimmte er klar und deutlich zu. Aber es war nur ein Wort aus seinem zerstörten
Gedächtnis, das einen Moment lang freigelegt wurde, als er in ihr kam. Es war
das erste und letzte richtige Wort, dass Jenny Fields ihn sprechen hörte: gut.
Als er erschlaffte und sein Lebenssaft aus ihr heraussickerte, war er wieder
auf Aaas reduziert, er schloss die Augen und schlief ein. Als Jenny ihm die
Brust geben wollte, hatte er keinen Hunger.
    [47]  »Gott!«, rief der
»Äußerliche«, wobei er sehr vorsichtig mit den Ts umging; auch seine Zunge
hatte Brandwunden.
    »Pisse!«, zischte das
»lebenswichtige Organ«.
    Jenny Fields wusch Garp und sich
mit warmem Wasser aus einer weißen Emailleschüssel und Seife. Die Frauendusche
würde sie selbstverständlich nicht benutzen, und sie zweifelte nicht daran,
dass der Zauber gewirkt hatte. Sie fühlte sich empfänglicher als frisch
gepflügter Boden – die genährte Erde –, und sie hatte gespürt, wie Garp sich in
ihr so reichlich ergoss wie ein Wasserschlauch im Sommer (als könnte er einen
Rasen sprengen).
    Sie machte es kein zweites Mal
mit ihm. Dafür gab es keinen Grund. Es machte ihr keinen Spaß. Von Zeit zu Zeit
half sie ihm mit der Hand, und wenn er danach schrie, gab sie ihm die Brust.
Aber nach ein paar Wochen hatte er keine Erektionen mehr. Als sie ihm die
Verbände von den Händen abnahmen, stellten sie fest, dass selbst der Heilungsprozess
rückwärts zu laufen schien; sie wickelten sie wieder ein. Er verlor jedes
Interesse an ihrer Brust. Seine Träume kamen Jenny vor wie Träume, die ein
Fisch haben mochte. Er war wieder im Mutterleib, Jenny wusste es; er nahm
wieder eine embryonale Haltung ein – rollte sich in der Mitte des Bettes zusammen. Er gab keinen Laut mehr von sich.
Eines Morgens beobachtete Jenny, wie er mit seinen kleinen kraftlosen Füßen
strampelte; sie bildete sich ein, in sich ein Treten
zu spüren. In Wirklichkeit war es noch zu früh dafür, sicher, aber sie wusste,
dass es angefangen hatte.
    Bald hörte Garp auch auf zu
strampeln. Er kam immer noch zu seinem Sauerstoff, indem er Luft in die Lunge
einatmete, aber Jenny wusste, dass dies nur ein Beweis für [48]  die menschliche
Anpassungsfähigkeit war. Er wollte nicht mehr essen; man musste ihn intravenös
ernähren – so hing er wieder an einer
Nabelschnur. Jenny sah seiner letzten Phase mit einiger Sorge entgegen. Würde
es am Ende einen Kampf geben, ähnlich dem verzweifelten Kampf des Samens? Würde
das Sperma sich ablösen und das nackte Ei sehnsüchtig auf den Tod warten? Wie
würde sich die Seele bei der Rückreise des

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