Garp und wie er die Welt sah
kleinen Garp am Ende aufspalten?
Aber die Phase ging vorbei, ohne dass Jenny sie überhaupt bemerkte. Eines Tages,
als sie freihatte, starb Technical Sergeant Garp.
»Wann sonst hätte er sterben können?«, schrieb Garp. »Er konnte sich nur davonstehlen,
während meine Mutter dienstfrei hatte.«
»Natürlich fühlte ich etwas, als er starb«, schrieb Jenny Fields in ihrer berühmten
Autobiographie. »Aber das Beste von ihm war in mir. Es war für uns beide das
Beste, die einzige Möglichkeit, wie er weiterleben konnte, die einzige Art, wie
ich ein Kind bekommen wollte. Dass der Rest der Welt das für einen
unmoralischen Akt hält, beweist mir nur, dass der Rest der Welt die Rechte des
Einzelnen nicht respektiert.«
Es war 1943. Als Jennys
Schwangerschaft unübersehbar war, verlor sie ihre Stellung. Genau damit hatten
ihre Eltern und Brüder natürlich gerechnet; sie waren nicht überrascht. Jenny
hatte schon lange alle Versuche aufgegeben, sie von ihrer Reinheit zu
überzeugen. Wie ein zufriedener Geist bewegte sie sich durch die geräumigen
Flure ihres Elternhauses in Dog’s Head Harbor. Ihre Gelassenheit irritierte
ihre Familie, und man ließ sie in Ruhe. Insgeheim war Jenny [49] ganz glücklich,
doch bei all den vielen Gedanken, die sie sich über das Kind, das sie
erwartete, gemacht haben muss, verwundert es, dass sie nie über einen Namen
nachdachte.
Denn als Jenny Fields schließlich
einen acht Pfund schweren Jungen zur Welt brachte, hatte sie keinen Namen
parat. Jennys Mutter fragte sie, wie sie ihn nennen wolle. Aber Jenny hatte
gerade erst entbunden und ein Beruhigungsmittel bekommen; sie war nicht sehr
gesprächsbereit.
»Garp«, sagte sie.
Ihr Vater, der Schuhkönig,
dachte, sie hätte gerülpst, aber ihre Mutter flüsterte ihm zu: »Er heißt Garp. «
»Garp?«, sagte er. Sie wussten,
dass sie so vielleicht herausfinden konnten, wer der Vater des Kindes war.
Jenny hatte natürlich kein Sterbenswörtchen gesagt.
»Krieg raus, ob das der Vorname
oder der Nachname von dem Mistkerl ist«, flüsterte Jennys Vater Jennys Mutter
zu.
Jenny war sehr schläfrig. »Garp«,
sagte sie. »Einfach Garp. Das ist alles.«
»Ich glaube, es ist ein
Nachname«, erklärte Jennys Mutter Jennys Vater.
»Und der Vor name?«,
fragte Jennys Vater verärgert.
»Den habe ich nie erfahren«,
murmelte Jenny. Das stimmte; sie kannte ihn nicht.
»Sie hat seinen Vornamen nie
erfahren!«, brüllte ihr Vater.
»Bitte, Liebes«, sagte ihre
Mutter. »Er muss doch einen Vornamen haben.«
»Technical Sergeant Garp«, sagte Jenny Fields.
»Ein gottverdammter Soldat, ich
hab’s ja gewusst!«, sagte ihr Vater.
[50] »Technical Sergeant?«, fragte
Jennys Mutter sie.
»T.S.«, sagte Jenny Fields. »T.S. Garp. So
soll mein Kind heißen.« Sie schlief ein.
Ihr Vater tobte vor Wut. »T.S.
Garp!«, brüllte er. »Was soll das für ein Name sein?«
»Sein ganz persönlicher Name«,
erklärte Jenny ihm später. »Es ist sein eigener gottverdammter und ganz persönlicher Name.«
»Es hat viel Spaß gemacht, mit
einem solchen Namen zur Schule zu gehen«, schrieb Garp. »Die Lehrer fragten
immerzu, wofür die Initialen standen. Anfangs sagte ich, es seien nur Initialen, aber sie glaubten mir nie. Also musste ich
sagen: ›Fragen Sie meine Mom. Sie sagt es Ihnen.‹ Und das taten sie. Und die
gute alte Jenny sagte ihnen gründlich die Meinung.«
So wurde der Welt T.S. Garp
beschert: geboren von einer guten Krankenschwester mit starkem Willen und mit
dem Samen eines Kugelturmschützen – seinem letzten Schuss.
[51] 2
Blut und Blau
T.S. Garp hatte immer
das Gefühl, er werde früh sterben. »Ich glaube«, schrieb Garp, »ich habe wie
mein Vater einen Hang zur Kürze. Ich bin ein Ein-Schuss-Mann.«
Garp entging mit knapper Not dem Schicksal,
auf dem Gelände einer reinen Mädchenschule aufzuwachsen – seiner Mutter war dort die Stelle der Schulschwester angeboten worden. Aber
Jenny Fields sah die möglichen Probleme, die damit verbunden gewesen wären: ihr
kleiner Garp von Frauen umgeben. (Jenny und Garp sollten eine Wohnung in einem
der zur Schule gehörenden Wohnheime bekommen.) Sie malte sich die ersten
sexuellen Erfahrungen ihres Sohnes aus – eine vom Anblick und von dem Geruch der Waschräume beflügelte Phantasie: Die
Mädchen würden, nur so zum Spaß, das Kind in weichen Bergen weiblicher
Unterwäsche begraben. Die Arbeit hätte Jenny gefallen, aber sie lehnte das
Angebot Garp zuliebe ab. Stattdessen nahm sie eine
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