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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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wurde mühsam heruntergekurbelt, und in dem dampfenden Inneren sah Garp
das verlebte, glänzende Gesicht von Mrs. Ralph. Sie grinste sie alle an.
    »Hast du Ralph irgendwo
gesehen?«, fragte sie Duncan.
    »Nee«, sagte Duncan.
    »Der Tölpel weiß nicht einmal,
dass er bei Regen am besten nach Hause kommt«, sagte sie. »Ich nehme an, Sie auch [489]  nicht«, sagte sie zuckersüß zu Garp; sie
grinste immer noch, und Garp versuchte, ihr Lächeln zu erwidern, aber er wusste
nicht, was er sagen sollte. Er musste seinen Gesichtsausdruck schlecht in der
Gewalt haben, vermutete er, weil Mrs. Ralph sich sonst die Gelegenheit, ihn
weiter im Regen zu ärgern, sicher nicht hätte entgehen lassen. Doch stattdessen
schien sie plötzlich über Garps gequältes Lächeln zu erschrecken; sie kurbelte
das Fenster wieder zu.
    »Bis bald«, rief sie und fuhr
davon. Langsam.
    »Bis bald«, murmelte Garp hinter
ihr her; er bewunderte die Frau, aber er dachte, dass selbst dieser Schrecken irgendwann vorbeigehen könnte: dass er Mrs. Ralph
besuchen würde.
    Im Haus ließ er ein heißes Bad
für Walt einlaufen und rutschte mit ihm in die Wanne – ein Vorwand, den er oft
benutzte, um mit dem kleinen Körper zu ringen. Duncan war zu groß, er passte
nicht mehr mit ihm in die Wanne.
    »Was gibt’s zu essen?«, rief
Duncan nach oben.
    Garp fiel ein, dass er das
Abendessen vergessen hatte.
    »Ich habe das Abendessen
vergessen«, rief Garp.
    »Du hast das Abendessen vergessen?«, fragte Walt. Aber Garp steckte Walt in die Wanne
und kitzelte ihn, und Walt wehrte sich und vergaß das Abendessen.
    »Du hast das Abendessen vergessen?«, brüllte Duncan von unten.
    Garp beschloss, die Wanne nicht
zu verlassen. Er ließ immer mehr heißes Wasser zulaufen; der Dampf war gut für
Walts Lungen, glaubte er. Er würde versuchen, den Jungen so lange bei sich in
der Wanne zu behalten, bis Walt nicht mehr spielen wollte.
    [490]  Sie waren immer noch zusammen
im Bad, als Helen nach Hause kam.
    »Dad hat das Abendessen
vergessen«, teilte Duncan ihr sofort mit.
    »Er hat das Abendessen
vergessen?«, fragte Helen.
    »Er hat es völlig vergessen«,
sagte Duncan.
    »Wo ist er?«, fragte Helen.
    »Er badet mit Walt«, sagte
Duncan. »Sie baden schon seit Stunden. «
    »Mein Gott«, sagte Helen.
»Vielleicht sind sie ertrunken.«
    »Würde dir das nicht gefallen?«, brüllte Garp oben aus der Wanne. Duncan lachte.
    »Er hat eine tolle Laune heute«,
erzählte Duncan seiner Mutter.
    »Ja, das merke ich«, sagte Helen.
Sie legte die Hand zärtlich auf Duncans Schulter und gab acht, um ihn nicht
merken zu lassen, dass sie in Wirklichkeit Halt bei ihm suchte. Sie hatte
plötzlich das Gefühl, sie verliere das Gleichgewicht. Unsicher stand sie am Fuß
der Treppe und rief zu Garp hinauf: »Hast du einen schlechten Tag gehabt?«
    Aber Garp rutschte unter Wasser;
es war eine Geste der Selbstbeherrschung, weil er einen solchen Hass auf sie
empfand und nicht wollte, dass Walt es sah oder hörte.
    Es kam keine Antwort, und Helen
klammerte sich fester an Duncans Schulter. Bitte, nicht vor
den Kindern, dachte sie. Die Situation war neu für sie – dass sie sich
in einer irgendwie kontroversen Angelegenheit Garp gegenüber verteidigen musste –, und sie hatte Angst.
    »Soll ich raufkommen?«, rief sie.
    [491]  Immer noch keine Antwort; Garp
konnte lange die Luft anhalten.
    Walt rief zu ihr herunter: »Dad
ist unter Wasser!«
    »Dad ist so komisch «, sagte Duncan.
    Garp tauchte gerade auf, um Luft
zu holen, als Walt wieder schrie: »Er hält die Luft an!«
    Hoffentlich, dachte Helen. Sie
wusste nicht, was sie tun sollte, sie konnte sich nicht vom Fleck rühren.
    Nach ungefähr einer Minute
flüsterte Garp Walt zu: »Sag ihr, ich bin immer noch
unter Wasser!«
    Walt hielt dies offenbar für
einen teuflisch raffinierten Trick und brüllte hinunter: »Dad ist immer noch unter Wasser!«
    »Wow«, sagte Duncan. »Wir sollten
die Zeit stoppen. Es ist bestimmt ein neuer Rekord.«
    Aber jetzt geriet Helen in Panik.
Duncan löste sich aus ihrem Griff – er begann, die Treppe hinaufzugehen, um
diese atemberaubende Leistung zu sehen –, und Helen hatte das Gefühl, ihre
Beine seien aus Blei.
    »Er ist immer noch unter Wasser!«, kreischte Walt, obwohl Garp ihn mit einem Handtuch
abtrocknete und schon angefangen hatte, das Wasser ablaufen zu lassen; sie
standen zusammen nackt auf der Badematte vor dem großen Spiegel. Als Duncan ins
Badezimmer kam, legte Garp den Zeigefinger auf

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