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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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an sich drückte.
    »Sie können sprechen ?«, fragte er.
    [483]  »Natürlich«, krächzte sie.
    »Was ist das?«, fragte er und
zeigte auf die Mitteilung. Aber jetzt fürchtete sie sich vor ihm – ein
geisteskranker gehörnter Ehemann. Gott weiß, was er tun konnte. Die Kinder
umbringen, oder sie umbringen. Er sah so aus, als wäre er stark genug, um
Michael Milton mit einem Arm umzubringen. Und jeder Mann sah böse aus, wenn er
einem Fragen stellte. Sie wich vor ihm zurück, die Stufen hinunter.
    »Warten Sie!«, rief Garp. »Ist
das eine Mitteilung an mich ? Was ist das? Ist es etwas für Helen? Wer sind Sie?«
    Margie Tallworth schüttelte den
Kopf. »Es ist ein Irrtum«, flüsterte sie, und als sie sich zur Flucht umwandte,
prallte sie mit dem nassen Briefträger zusammen, stieß seine Tasche um und
sprang zurück gegen Garp. Garp hatte plötzlich Duna, den senilen Bären, vor
Augen, wie er einen Briefträger eine Wiener Treppe hinunterstieß – für immer
vogelfrei. Aber alles, was Margie Tallworth passierte, war, dass sie hinfiel,
sich die Strümpfe zerriss und sich ein Knie aufschrammte.
    Der Briefträger, der annahm, dass
er in einem ungelegenen Augenblick gekommen sei, fischte unter den verstreut am
Boden liegenden Briefen Garps Post heraus, aber Garp interessierte sich jetzt
nur noch für die Nachricht, die das weinende Mädchen für ihn hatte. »Was ist es?«, fragte er sie freundlich; er versuchte, ihr
aufzuhelfen, aber sie schien da, wo sie saß, bleiben zu wollen. Sie schluchzte.
    »Es tut mir leid«, sagte Margie
Tallworth. Sie hatte die Fassung verloren; sie war eine Minute zu lange in
Garps Nähe gewesen, und jetzt, da sie fand, dass sie ihn beinahe [484]  mochte, fiel es ihr schwer, ihm diese Nachricht zu
übergeben.
    »Ihr Knie sieht zwar nicht sehr
schlimm aus«, sagte Garp, »aber ich hole lieber schnell etwas, damit Sie es
säubern können.« Er ging ins Haus, um ein Desinfektionsmittel und einen Verband
zu holen, aber sie nutzte die Gelegenheit, um davonzuhumpeln. Sie konnte ihm
nicht mit dieser Nachricht entgegentreten, aber sie konnte sie ihm auch nicht
vorenthalten. Sie ließ ihm ihre Mitteilung da. Der Briefträger beobachtete, wie
sie die Straße hinunter zu der Ecke hoppelte, wo die Busse hielten; er fragte
sich kurz, was mit den Garps los sein mochte. Sie bekamen im Übrigen mehr Post
als andere Familien.
    Das lag an all den Briefen, die
Garp schrieb und die der arme John Wolf, sein Verleger, kaum beantworten
konnte. Dann kamen Bücher zum Rezensieren – Garp gab sie Helen, die sie
wenigstens las. Und es kamen Helens Zeitschriften – recht viele, wie es Garp
schien. Es kamen Garps zwei Zeitschriften, die einzigen, die er abonniert
hatte: Gourmet und die Zeitschrift der Amateurringer.
Natürlich kamen haufenweise Rechnungen. Und ziemlich oft kam ein Brief von
Jenny – Briefe waren alles, was sie zurzeit schrieb. Und dann und wann kam ein
kurzer, lieber Brief von Ernie Holm.
    Manchmal schrieb Harry Fletcher
an sie beide, und Alice schrieb – immer noch ungeheuer flüssig, über nichts –
an Garp.
    Und nun steckte zwischen dem
Üblichen eine Mitteilung, die nach Parfüm roch und tränennass war. Garp stellte
die Flasche mit dem Desinfektionsmittel hin und legte den [485]  Verband daneben;
er machte sich nicht die Mühe, das Mädchen zu suchen. Er hatte die zerknüllte
Mitteilung in der Hand und glaubte mehr oder weniger zu wissen, wie sie lauten
würde.
    Er fragte sich, wieso er nicht
schon früher darauf gekommen war – es gab so viele Dinge, die darauf hinwiesen;
jetzt, da er es wusste, meinte er, es schon früher gewusst zu haben, nur nicht
so klar. Das vorsichtige Auseinanderwickeln der Mitteilung – damit sie nicht
zerriss – machte knisternde Herbstgeräusche, obwohl rings um ihn herum kalter
März war und der harsche Boden zu Matsch taute. Es knackte wie Knochen, als er
die Mitteilung auseinanderfaltete. Wegen des entweichenden Parfüms bildete Garp
sich ein, er höre immer noch den spitzen kleinen Schrei des Mädchens: »Was?«
    Er wusste, »was«; was er nicht
wusste, war »mit wem« – jenen Namen, der eines Morgens in seinem Kopf
herumgeschwirrt, aber dann verschwunden war. Die Mitteilung würde ihm natürlich
zu dem Namen verhelfen: Michael Milton. Für Garp klang das wie eine neue
Eiskremsorte in dem Café, in das er mit den Jungen ging. Dort gab es
Erdbeer-Swirl, Schoko-Schock, Mokka-Riese und Michael Milton. Ein widerlicher Name – ein Aroma, das Garp

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