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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Geschäft. Bei einer so einsamen Sache konnte man sich
kaum einsamer fühlen. Jenny, das wusste er, würde es lesen; darin war sie
beinhart. Jenny sah sie alle genesen; sie sah neue Patienten kommen und gehen.
    Eine war ein hässliches junges
Mädchen namens Laurel, das den Fehler beging, sich eines Morgens beim Frühstück
über Duncan zu beschweren. »Könnte ich vielleicht in einem anderen Teil des
Hauses schlafen?«, fragte sie Jenny. »Es ist wegen dieses unheimlichen Jungen –
mit dem Fernrohr, mit der Kamera und der Augenklappe. Er ist wie ein verdammter
Pirat, er spioniert mir nach. Sogar kleine Jungen ziehen einen mit den Augen
aus – sogar mit nur einem Auge.«
    Garp war beim Laufen im
Morgengrauen am Strand gestürzt; er hatte sich den Kiefer wieder verletzt und
war – wieder – verklammert. Er hatte keine alten Mitteilungen für das parat,
was er diesem Mädchen sagen wollte, aber er kritzelte sehr hastig etwas auf
eine Serviette.
    [538]  Verfick
Dich,
    kritzelte er und warf dem
überraschten Mädchen die Serviette zu.
    »Sehen Sie«, sagte das Mädchen zu
Jenny, »das ist genau das, wovon ich loskommen muss. Dauernd drangsaliert mich
irgendein verdammter Idiot, dauernd bedroht mich irgendein Dummkopf mit seiner
großschwänzigen Gewalttätigkeit. Wer hat das nötig? Ich meine, besonders hier – wer hat das nötig? Bin ich hergekommen, um davon
noch mehr zu erleben?«
    Verfick
Dich, bis Du platzt,
    lautete Garps nächste
Mitteilung, aber Jenny brachte Laurel hinaus und erzählte ihr die Geschichte
von Duncans Augenklappe und seinem Fernrohr und seiner Kamera, und Laurel gab
sich alle Mühe, Garp in den letzten Tagen ihres Aufenthalts aus dem Weg zu
gehen.
    Ihr Aufenthalt dauerte nur wenige
Tage, und dann war jemand da, um sie abzuholen: ein Minisportwagen mit New
Yorker Nummernschild und ein Mann, der aussah wie ein
Idiot – jemand, der die arme Laurel tatsächlich dauernd mit »großschwänziger
Gewalttätigkeit« bedroht hatte.
    »He, ihr Dildos!«, rief er Garp
und Roberta zu, die wie altmodische Verliebte auf der großen Verandaschaukel
saßen. »Ist das hier das Bordell, wo ihr Laurel festhaltet?«
    »›Festhalten‹ tun wir sie
eigentlich nicht«, sagte Roberta.
    »Halt’s Maul, du aufgetakelte
Kuh!«, sagte der New [539]  Yorker; er kam auf die Veranda herauf. Er hatte den
Motor seines Sportwagens laufen lassen, und der Leerlauf bollerte und beruhigte
sich – bollerte und beruhigte sich und bollerte wieder. Der Mann hatte
Cowboystiefel und ausgestellte grüne Wildlederhosen an. Er war groß und breit,
allerdings nicht ganz so groß und breit wie Roberta Muldoon.
    »Ich bin keine aufgetakelte Kuh«,
sagte Roberta.
    »Aber eine vestalische Jungfrau
bist du auch nicht gerade«, sagte der Mann. »Wo zum Teufel ist Laurel?« Er
hatte ein orangefarbenes T-Shirt mit giftgrünen Buchstaben zwischen den
Brustwarzen an.
    FIT BLEIBEN !,
    stand darauf.
    Garp suchte in seinen Taschen
nach einem Bleistift, um eine Mitteilung zu schreiben, aber er fand nur seine
alten Mitteilungen: all die alten Schablonen, die nicht auf diesen
unverschämten Menschen zu passen schienen.
    »Erwartet Laurel Sie?«, fragte
Roberta Muldoon den Mann, und Garp wusste, dass Roberta wieder ein Problem mit
ihrer sexuellen Identität hatte; sie reizte den Idioten in der Hoffnung, dass
sie dann einen Grund hätte, ihn zusammenzuschlagen. Aber für Garp sah der Mann
so aus, als sei er ein ebenbürtiger Gegner für Roberta. All das Östrogen hatte
mehr geändert als Robertas Figur, dachte Garp – es hatte den ehemaligen Robert
Muldoon in einem Maße entmuskelt, das Roberta zu vergessen geneigt schien.
    »Hört mal, ihr Süßen«, sagte der
Mann zu beiden, Garp und Roberta. »Wenn Laurel nicht sofort ihren Arsch [540]  rausschiebt,
räume ich drinnen mal auf. Was für ein Schwulentreff ist das überhaupt? Jeder
hat schon davon gehört. Ich habe sofort rausgefunden, wohin sie gegangen ist.
Jede verfickte Ziege in New York kennt dieses Mösenasyl.«
    Roberta lächelte. Sie fing an,
mit der großen Verandaschaukel auf eine Weise zu schaukeln, bei der sich Garp
der Magen umdrehte. Garp stöberte hektisch in seinen Taschen herum, überflog
eine wertlose Mitteilung nach der anderen.
    »Hört mal, ihr Clowns«, sagte der
Mann. »Ich weiß, was für Pissbienen sich hier
rumtreiben. Es ist eine große lesbische Szene, wie?« Er gab der großen
Verandaschaukel einen Tritt mit seinem Cowboystiefel und versetzte die Schaukel
in eigenartige

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