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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er warf es so weit in das Bohnenfeld, dass es nicht
mehr zu sehen war.
    »Ich möchte nicht, dass jemand
auch nur andeutet, es sei vielleicht keine Vergewaltigung gewesen«, sagte Bensenhaver leise zu dem Deputy. »Kapiert?«
    Er wartete die Antwort des Deputy
nicht ab, sondern [604]  ging zur Rückseite des Wagens, um Mrs. Standish
beizustehen.
    »Wie alt war er – der Junge?«,
fragte Hope Bensenhaver.
    »Alt genug«, sagte Bensenhaver.
»Etwa fünf- oder sechsundzwanzig«, fügte er hinzu. Er wollte nicht, dass ihr
Überleben durch irgendetwas herabgemindert wurde – vor allem nicht in ihren
eigenen Augen. Er winkte dem Piloten zu, der Mrs. Standish in den Hubschrauber
helfen sollte. Dann ging er, um dem Deputy Anweisungen zu geben.
    »Sie bleiben hier bei der Leiche
und dem miserablen Autofahrer«, befahl er.
    »Ich bin kein miserabler
Autofahrer«, jammerte der Autofahrer. »Gott, wenn Sie die Dame da gesehen
hätten – auf offener Straße…«
    »Und bleiben Sie von dem
Lieferwagen weg!«, sagte Bensenhaver.
    Auf der Straße lag das Hemd, das
Mrs. Standishs Mann gehörte; Bensenhaver hob es auf und trabte in seinem
merkwürdigen übergewichtigen Laufschritt zu dem Hubschrauber. Die beiden Männer
beobachteten, wie Bensenhaver in den Hubschrauber kletterte und von ihnen
fortschwebte. Die schwache Frühlingssonne schien mit dem Hubschrauber zu
entschwinden, und sie froren plötzlich und wussten nicht, wohin sie gehen
sollten. Bestimmt nicht in den Lieferwagen, und um sich in den Wagen des
miserablen Autofahrers zu setzen, hätten sie erst das morastige Feld überqueren
müssen. Sie gingen zu dem Lieferwagen, ließen die Ladeklappe herunter und
setzten sich darauf.
    »Ob er einen Abschleppwagen für
mein Auto herschickt?«, fragte der Autofahrer.
    [605]  »Wahrscheinlich vergisst er
es«, sagte der Deputy. Er dachte über Bensenhaver nach; er bewunderte ihn,
hatte aber gleichzeitig auch Angst vor ihm und dachte, dass man ihm nicht ganz
trauen konnte. Es gab Fragen der Rechtgläubigkeit – wenn es das war –, die der
Deputy noch nie bedacht hatte. Vor allem hatte der Deputy einfach zu viele
Dinge gleichzeitig zu bedenken.
    Der Autofahrer ging auf der
Ladefläche auf und ab, was den Deputy ärgerte, weil er dadurch kräftig
durchgeschüttelt wurde. Der Autofahrer mied die eklige, wie ein Bündel
daliegende Wolldecke in der Ecke direkt hinter der Fahrerkabine; er wischte ein
Guckloch in dem staubigen, verdreckten Rückfenster frei, so dass er von Zeit zu
Zeit einen Blick in die Fahrerkabine und auf den unbeweglich daliegenden
aufgeschlitzten Körper von Oren Rath werfen konnte. Das Blut war nun
vollständig getrocknet, und durch das schmutzige Rückfenster erinnerte der
Körper den Fahrer, was Farbe und Glanz betraf, an eine Aubergine. Der Mann
wandte sich ab und setzte sich wieder hinten auf die Ladeklappe, neben den
Deputy, der nun seinerseits aufstand, nach vorn ging und durch das Guckloch auf
die aufgeschlitzte Leiche schaute.
    »Wissen Sie was?«, sagte der
Autofahrer. »Obwohl sie überall verschmiert war, konnte man doch sehen, was für
eine schöne Frau sie war.«
    »Ja, das stimmt«, sagte der
Deputy und setzte sich, als der Autofahrer erneut auf der Ladefläche des
Lieferwagens auf und abzugehen begann, wieder auf die Ladeklappe.
    »Nicht sauer werden«, sagte der
Autofahrer.
    »Ich bin nicht sauer«, sagte der
Deputy.
    [606]  »Ich meine nicht, dass ich
verstehen kann, wenn jemand si e vergewaltigen will,
okay?«, sagte der Autofahrer.
    »Ich weiß, was Sie nicht meinen«,
sagte der Deputy.
    Der Deputy wusste, dass solche
Dinge eine Nummer zu groß für ihn waren, aber die Naivität des Autofahrers
zwang ihn, die geringschätzige Haltung einzunehmen, die er für Bensenhavers
Haltung ihm selbst gegenüber hielt.
    »Sie sehen so was wohl öfter,
stimmt’s?«, fragte der Autofahrer. »Ich meine: Vergewaltigung und Mord.«
    »Es reicht«, sagte der Deputy
ernst und doch auch verlegen. Er hatte bisher noch nie eine Vergewaltigung oder
einen Mord gesehen, und auch diesmal nicht wirklich, wie er sich eingestehen
musste, da er es nicht mit eigenen, sondern mit und durch Arden Bensenhavers
Augen gesehen hatte. Er hatte Vergewaltigung und Mord so gesehen, wie
Bensenhaver sie sah, gesehen, dachte er. Der Deputy war sehr verwirrt; er
suchte nach einem eigenen Standpunkt.
    »Na ja«, sagte der Autofahrer,
der wieder durch das Guckloch im Rückfenster spähte, »ich habe beim Militär so
einiges gesehen, aber

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