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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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so was denn doch nicht.«
    Der Deputy konnte nichts
erwidern.
    »Das hier ist wie Krieg, nehme
ich an«, sagte der Autofahrer. »Oder wie ein schlechtes Krankenhaus.«
    Der Deputy fragte sich, ob er den
Trottel Raths Leiche weiter betrachten lassen sollte. Und ob es etwas ausmachte
oder nicht. Und wenn ja, wem? Rath konnte es nichts mehr ausmachen. Aber seiner
unheimlichen Familie? Er wusste es nicht. Und was war
mit Bensenhaver?
    »He, Sie, darf ich Sie etwas
Persönliches fragen«, sagte der Autofahrer. »Aber nicht sauer werden, okay?«
    [607]  »Okay«, sagte der Deputy.
    »Was ist mit dem Kondom
passiert?«
    »Mit welchem Kondom?«, fragte der Deputy; Bensenhavers Verstand stellte er durchaus in
Frage, aber er bezweifelte nicht, dass Bensenhaver in diesem Fall recht gehabt
hatte. In der Welt, wie Bensenhaver sie sah, durfte der Greuel einer
Vergewaltigung durch nichts heruntergespielt werden.
    Hope Standish fühlte sich in
diesem Augenblick in Bensenhavers Welt endlich sicher. Sie schwebte und wankte
abwechselnd an seiner Seite über die Felder und gab sich Mühe, nicht zu kotzen.
Nach und nach nahm sie wieder Einzelheiten an ihrem Körper wahr – sie roch den
Geruch, der von ihr ausging, und fühlte jede wunde Stelle. Sie empfand einen
solchen Ekel, aber da war dieser gutgelaunte Polizist, der neben ihr saß und
sie bewunderte – und ganz ergriffen war von ihrem gewalttätigen Erfolg.
    »Sind Sie verheiratet, Mr.
Bensenhaver?«, fragte sie ihn.
    »Ja, Mrs. Standish«, sagte er.
»Das bin ich.«
    »Sie sind furchtbar nett zu mir
gewesen«, sagte Hope zu ihm, »aber ich glaube, mir wird gleich übel.«
    »Oh, klar«, sagte Bensenhaver; er
griff nach einer Wachspapiertüte zu seinen Füßen. Es war die Lunchtüte des
Piloten; auf dem Boden der Tüte lagen ein paar ungegessene Pommes frites, und
das Fett hatte das gewachste Papier durchscheinend gemacht. Bensenhaver konnte
seine Hand zwischen den Pommes frites und durch den Tütenboden sehen. »Da«,
sagte er. »Tun Sie sich keinen Zwang an.«
    Sie würgte bereits; sie nahm die
Tüte und wandte den [608]  Kopf ab. Die Tüte kam ihr nicht groß genug vor, um all
das an Schlechtigkeit aufzunehmen, was sie in sich zu haben glaubte. Sie fühlte
Bensenhavers harte, schwere Hand auf ihrem Rücken. Mit der anderen hielt er ihr
eine Strähne ihres wirren Haars aus dem Gesicht. »So ist es gut«, redete er ihr
zu, »lassen Sie es kommen, geben Sie alles von sich, gleich geht es Ihnen viel
besser.«
    Hope erinnerte sich, dass sie
Nicky jedes Mal, wenn ihm übel war, genau das Gleiche sagte. Sie staunte
darüber, dass Bensenhaver sogar ihr Erbrechen in einen Sieg ummünzen konnte,
aber esging ihr tatsächlich viel besser – ihr
eigenes rhythmisches schweres Würgen war ebenso beruhigend wie seine ruhigen,
trockenen Hände, die ihren Kopf hielten und ihr auf den Rücken klopften. Als
die Tüte platzte und ihr Inhalt sich über den Boden ergoss, sagte Bensenhaver:
»Gut, dass Sie es los sind, Mrs. Standish! Sie brauchen die Tüte nicht. Das
hier ist ein Hubschrauber der Nationalgarde. Wir werden ihn von der
Nationalgarde saubermachen lassen! Wozu ist die Nationalgarde schließlich da?«
    Der Pilot flog grimmig, mit
eherner Miene weiter.
    »Was für ein Tag das für Sie
gewesen ist, Mrs. Standish!«, fuhr Bensenhaver fort. »Ihr Mann wird sehr stolz
auf Sie sein.« Aber Bensenhaver dachte, dass er besser persönlich dafür sorgte.
Arden Bensenhaver hatte die Erfahrung gemacht, dass Ehemänner und andere Leute
eine Vergewaltigung nicht immer richtig aufnahmen.

[609]  16
    Der erste Mörder
    Was soll das heißen:
›Hier ist das erste Kapitel‹?«, schrieb ihm sein Verleger, John Wolf. »Wie kann das noch weitergehen? Es ist so schon mehr als genug! Wie
wollen Sie damit weitermachen?«
    »Es geht weiter«, schrieb Garp
zurück. »Sie werden sehen.«
    »Ich möchte es aber nicht sehen«, sagte John Wolf am Telefon zu Garp. »Lassen Sie es
fallen, bitte. Legen Sie es wenigstens beiseite. Warum machen Sie nicht eine
Reise? Das würde Ihnen guttun – und Helen auch, da bin ich sicher. Und Duncan
kann jetzt doch auch reisen, nicht wahr?«
    Aber Garp beharrte nicht nur
darauf, dass Bensenhaver und wie er die Welt sah ein
Roman werden würde;er beharrte auch darauf, dass
John Wolf versuchte, das erste Kapitel an eine Zeitschrift zu verkaufen. Garp
hatte nie einen Agenten gehabt; John Wolf war der erste Mensch, der sich um
das, was Garp schrieb, kümmerte, und er regelte alles

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