Garp und wie er die Welt sah
in New York
und hoffte, dass die innere Realität von Garps Sprache und die Intensität
seiner Figuren das Buch vor dem Absturz in die Schnulze retten würden. Aber,
dachte er, man könnte das Ding genauso gut Lebensängste nennen und – nach einer leichten Überarbeitung für Invalide, Senioren und
Vorschulkinder – eine phantastische Fernsehserie fürs Nachmittagsprogramm daraus
machen. John Wolf kam zu dem Ergebnis, dass Bensenhaver und
wie er die Welt sah trotz der »inneren Realität von Garps Sprache« und
so fort eine Schnulze »nicht für Jugendliche unter 18 Jahren« war.
Viel später sollte sogar Garp ihm
zustimmen; es war sein schwächstes Buch.
»Aber die Scheißwelt hat mir die
beiden ersten nie gedankt«, schrieb er an John Wolf. »Insofern hatte ich einen
gut.« So, fand Garp, ging es meistens.
John Wolf hatte grundlegendere
Sorgen; das heißt, er fragte sich, ob er die Veröffentlichung des Buches
rechtfertigen könne. Bei Büchern, die ihn nicht fesselten, hatte John Wolf eine
Methode, die ihn selten im Stich ließ. In seinem Verlag beneidete man ihn um
sein einzigartiges Gespür für Bücher, die das Zeug zum Bestseller hatten. Wenn
er voraussagte, ein Buch werde ein Bestseller – nicht zu verwechseln damit, ob
es gut oder sympathisch war oder nicht –, hatte er fast immer recht. Es gab
auch etliche Bücher, die Bestseller wurden, ohne dass er es vorausgesagt hätte,
aber kein Buch, bei dem er vorausgesagt hatte, es werde ein Bestseller, war je ein Flop gewesen.
Niemand wusste, wie er das
machte.
Er machte es das erste Mal bei
Jenny Fields – und hatte [619] es seither alle ein oder zwei Jahre bei bestimmten,
überraschenden Büchern gemacht.
In dem Verlag arbeitete eine
Frau, die John Wolf einmal erklärte, sie lese nie ein Buch, das nicht den
Wunsch in ihr wecke, es beiseitezulegen und zu schlafen. Sie war eine
Herausforderung für John Wolf, der Bücher liebte, und er gab dieser Frau über
viele Jahre hinweg gute Bücher und schlechte Bücher zu lesen; die Bücher
glichen sich insofern, als sie die Frau zum Schlafen brachten. Sie las einfach
nicht gern, sagte sie zu John Wolf; aber er gab keine Ruhe. Niemand anders im
Verlag bat die Frau jemals, irgendetwas zu lesen, oder fragte sie nach ihrer
Meinung zu irgend etwas. Die Frau arbeitete zwischen
all den Büchern, die im Verlag herumlagen, als wären diese Bücher Aschenbecher
und als wäre sie Nichtraucherin. Sie war Putzfrau. Jeden Tag leerte sie die
Papierkörbe; sie putzte die Zimmer aller Leute, wenn sie abends nach Hause
gefahren waren. Sie saugte montags die Läufer in den Fluren, sie wischte
dienstags die Glasvitrinen ab und mittwochs die Schreibtische der
Sekretärinnen; sie scheuerte donnerstags die Toiletten und besprühte freitags
alles mit Lufterfrischer – damit, wie sie John Wolf erklärte, der ganze Verlag
über das Wochenende Zeit hatte, für die nächste Woche guten Geruch zu tanken.
John Wolf hatte sie jahrelang beobachtet, und er hatte nie gesehen, dass sie
auch nur einen Blick an ein Buch verschwendete.
Als er sie nach Büchern fragte
und sie ihm sagte, wie unsympathisch sie ihr seien, zog er sie immer wieder
heran, um Bücher zu testen, bei denen er sich nicht sicher war – und auch die
Bücher, bei denen er sich sehr sicher zu sein [620] glaubte.
Sie blieb konsequent in ihrer Abneigung gegen Bücher, und John Wolf wollte sie
schon fast in Ruhe lassen, als er ihr doch noch das Manuskript Eine sexuell Verdächtige . Die
Autobiographie der Jenny Fields, zu lesen gab.
Die Putzfrau las es über Nacht
und fragte John Wolf, ob sie ein Exemplar für sich haben könne, das sie dann –
viele Male – las, als das Buch erschienen war.
Danach bat John Wolf sie immer um
ihre Meinung. Sie enttäuschte ihn nicht. Die meisten Sachen mochte sie nicht,
aber wenn sie etwas mochte, war für John Wolf klar, dass fast alle anderen
wenigstens imstande sein würden, es zu lesen.
Fast automatisch gab John Wolf
der Putzfrau Bensenhaver und wie er die Welt sah .
Dann fuhrer nach Hause ins Wochenende und dachte
darüber nach; er wollte sie anrufen und ihr sagen, sie solle gar nicht erst
versuchen, es zu lesen. Er erinnerte sich an das erste Kapitel, und er wollte
die Frau nicht beleidigen, die Großmutter und (natürlich) auch Mutter war – und
schließlich hatte sie keine Ahnung, dass sie dafür bezahlt wurde, den ganzen Kram zu lesen, den John Wolf ihr zu lesen gab. Dass sie ein
für eine Putzfrau ziemlich fettes Gehalt bekam,
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