Garp und wie er die Welt sah
fragen«, sagte Jillsy, »das ist typisch Mann: erst
vergewaltigen sie einen halb zu Tode, und in der nächsten Minute regen sie sich
furchtbar auf, weil man es mit einem anderen macht – aus freien Stücken. Dabei
geht es sie so oder so nichts an, oder?«, fragte Jillsy.
»Ich weiß nicht recht«, sagte
John Wolf, der verwirrt an seinem Schreibtisch saß. »Warum haben Sie es
gelesen?«
»Gott«, sagte Jillsy, als täte es
ihr leid um John Wolf – dass er so hoffnungslos dumm war. »Manchmal frage ich
mich, ob Sie überhaupt was von all den Büchern verstehen, die Sie da machen«,
sagte sie und schüttelte den Kopf. »Manchmal frage ich mich, warum Sie derjenige sind, der die Bücher macht, und ich diejenige, die die Klos schrubbt. Nur ist mir das
Klosschrubben doch lieber als die ganze Bücherleserei«, sagte Jillsy. »Gott,
Gott.«
[624] »Wenn Sie es nicht ausstehen
konnten, warum haben Sie es dann gelesen, Jillsy?«, fragte John Wolf sie.
»Aus demselben Grund, aus dem ich
immer lese«, sagte Jillsy. »Um herauszufinden, was passiert. «
John Wolf starrte sie an.
»Bei den meisten Büchern weiß man, dass nichts passiert«, sagte Jillsy. »Gott, das
wissen Sie doch. Bei anderen Büchern«, sagte sie,
»weiß man schon, was passiert, die braucht man also
auch nicht zu lesen. Aber dieses Buch«, sagte Jillsy,
»dieses Buch ist so krank, dass man weiß, es passiert was, aber man kann sich
nicht vorstellen, was. Man muss selbst krank sein, um
sich vorstellen zu können, was in diesem Buch passiert«, sagte Jillsy.
»Sie haben es also gelesen, um
das herauszufinden?«, sagte John Wolf.
»Aus welchem Grund sollte man
sonst ein Buch lesen?«, sagte Jillsy Sloper. Sie legte das Manuskript schwer
(denn es war dick) auf John Wolfs Schreibtisch und zog das Ende der langen
Verlängerungsschnur (für den Staubsauger) hervor, die sie montags wie einen
Gürtel um ihre breiten Hüften trug. »Wenn es erst mal ein Buch ist«, sagte sie
und deutete auf das Manuskript, »würde ich gern ein Exemplar haben. Wenn es
geht«, fügte sie hinzu.
»Sie möchten ein Exemplar
haben?«, fragte John Wolf.
»Wenn es keine Umstände macht«,
sagte Jillsy.
»Aber jetzt wissen Sie ja, was
passiert«, sagte John Wolf, »wozu wollen Sie es dann noch einmal lesen?«
»Na ja«, sagte Jillsy. Sie sah
ihn perplex an – John Wolf hatte Jillsy Sloper noch nie perplex erlebt, nur
müde. »Na ja, ich könnte es verleihen «, sagte sie.
»Vielleicht kenne ich [625] ein paar Leute, die daran erinnert werden müssen, wie
die Männer sind«, sagte sie.
»Würden Sie es je noch einmal
lesen?«, fragte John Wolf.
»Na ja«, sagte Jillsy. »Nicht alles, glaube ich. Jedenfalls nicht alles auf einmal, oder
gleich.« Wieder sah sie ihn perplex an. »Na ja, ich glaube, ich meine, es sind Stellen drin, die ich ganz gern noch einmal lesen würde.«
»Warum?«, fragte John Wolf.
»Gott«, sagte Jillsy erschöpft,
als verlöre sie nun wirklich die Geduld mit ihm. »Es wirkt so wahr «, sagte sie klagend und ließ das Wort wahr wie den Schrei eines Seetauchers über einem
nächtlichen Gewässer klingen.
»Es wirkt so wahr«, wiederholte
John Wolf.
»Gott, wissen Sie denn nicht,
dass es das tut?«, fragte Jillsy ihn. »Wenn Sie nicht wissen, wann ein Buch wahr ist«, hämmerte Jillsy ihm ein, »dann sollten wir wirklich die Berufe tauschen.« Jetzt lachte sie und hielt
den großen dreidornigen Stecker für die Staubsaugerschnur wie einen
Pistolenknauf umklammert. »Ich frage mich wirklich, Mr. Wolf«, sagte sie
freundlich, »ob Sie erkennen würden, wann ein Klo sauber ist.« Sie näherte sich und blickte in seinen Papierkorb. »Oder wann ein
Papierkorb leer ist«, sagte sie. »Ein Buch wirkt wahr, wenn man sagen kann:
›Ja! Genau so ist es, so geht es in dieser verdammten Welt zu!‹ Dann weiß man, dass es wahr ist«, sagte Jillsy.
Sie beugte sich über den
Papierkorb und holte das einzige Stück Papier heraus, das darin lag; sie
stopfte es in ihre Schürzentasche. Es war die zusammengeknüllte erste Seite des
Briefes, den John Wolf an Garp aufzusetzen versucht hatte.
[626] Monate später, als Bensenhaver und wie er die Welt sah in Druck ging, klagte
Garp bei John Wolf, es gebe niemanden, dem er das Buch widmen könne. Er wollte
nicht zum Gedenken an Walt darüber schreiben, weil
Garp so etwas hasste: »Dieses billige Kapitalschlagen aus autobiographischen
Unglücksfällen«, wie er sich ausdrückte, »um den Leser glauben zu machen,
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