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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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die Welt sah in das schillernde Zwielicht zu hüllen, in dem gelegentlich auch ein »seriöses«
Buch eine Zeitlang als »Bestseller« aufblitzt. John Wolf war ein tüchtiger und
ein zynischer Mann. Er verstand sich auf jene billigen autobiographischen
Anspielungen, mit denen sich die unersättlichen Leser von Klatschgeschichten
gelegentlich für schöne Literatur erwärmen lassen.
    Jahre später sollte Helen
bemerken, dass der Erfolg von Bensenhaver und wie er die
Welt sah einzig und allein auf dem Klappentext beruhte. John Wolf ließ
Garp die Klappentexte auf seinen Büchern immer selbst schreiben, aber Garps
Charakterisierung des Buches war so schwerfällig, dass John Wolf die Sache
selbst in die Hand nahm.
    [630]  »Bensenhaver
und wie er die Welt sah«, lautete der Klappentext, »ist die Geschichte
eines Mannes, der eine solche Angst hat vor schlimmen Dingen, die seinen Lieben
zustoßen könnten, dass er eine angespannte Atmosphäre schafft, die all die
schlimmen Dinge praktisch heraufbeschwört. Und sie lassen nicht auf sich
warten.
    T.S. Garp«, hieß es weiter in dem
Klappentext, »ist das einzige Kind der bekannten Feministin Jenny Fields.« John
Wolf fröstelte leicht, als er diesen Satz gedruckt vor sich sah, denn obwohl er
ihn geschrieben hatte und obwohl er sehr genau wusste, warum er ihn geschrieben hatte, wusste er auch, dass Garp diese Information nie in
Zusammenhang mit seinen eigenen Werken erwähnt wissen wollte. »T.S. Garp ist
selbst Vater«, fuhr der Klappentext fort. Und John Wolf schüttelte voll Scham
über die Schmonzette, die er da geschrieben hatte, den Kopf. »Er ist ein Vater,
der kürzlich unter tragischen Umständen seinen fünfjährigen Sohn verloren hat.
Aus dem Schmerz, den ein Vater nach einem solchen Unglücksfall durchmacht, ist
dieser tragische Roman hervorgegangen…« Und so fort.
    Dies war nach Garps Meinung der
allerbilligste Grund zum Lesen. Garp sagte immer, von allen Fragen zu seinen
Büchern hasse er am meisten die, wie viel von seinem Werk »wahr« sei – wie viel
davon auf »persönlicher Erfahrung« beruhe. Wahr – nicht in dem guten Sinn, in dem Jillsy Sloper es meinte, sondern wahr wie im
»wirklichen Leben«. Gewöhnlich sagte er dann mit großer Geduld und
Selbstbeherrschung, dass der autobiographische Hintergrund – sofern es
überhaupt einen gebe – der uninteressanteste Aspekt sei, unter dem man einen
Roman lesen könne. Er sagte [631]  immer, dass die Dichtkunst ein Akt des
wahrhaftigen Imaginierens sei – dass sie, wie jede Kunst, ein selektiver
Prozess sei. Erinnerungen und persönliche Erlebnisse – »all die gesammelten
Traumata unseres nicht erinnernswerten Lebens« – seien verdächtige Vorbilder
für Fiktion, pflegte Garp zu sagen. »Literatur muss besser gemacht sein als das
Leben«, schrieb Garp. Und er verabscheute »die Scheinleistung persönlicher
Not«, wie er sich ausdrückte – die Schriftsteller, deren Bücher »bedeutend«
waren, weil in ihrem Leben irgendetwas Bedeutendes passiert war. Er schrieb,
der schlechteste Grund, etwas in einen Roman aufzunehmen, sei der, dass es
wirklich passiert sei.» Alles ist irgendwann einmal wirklich passiert!«, schäumte er. »Der einzige Grund,
etwas in einem Roman passieren zu lassen, ist der, dass in dem betreffenden
Augenblick genau das passieren muss.«
    »Erzählen Sie mir irgend etwas, das Ihnen irgendwann passiert ist«, sagte
Garp einmal zu einer Interviewerin, »und ich kann die Geschichte verbessern;
ich kann die Einzelheiten besser machen, als sie waren.« Die Interviewerin,
eine junge Frau mit vier kleinen Kindern, von denen eines mit Krebs im Sterben
lag, blickte ihn mit dem Ausdruck äußerster Skepsis an. Garp sah ihr
unabänderliches Leid und seine schreckliche Bedeutung für sie, und er sagte
sanft zu ihr: »Wenn es traurig ist – selbst wenn es sehr traurig ist –, kann ich eine Geschichte daraus machen, die noch trauriger ist.«
Aber er sah an ihrem Gesicht, dass sie ihm nie glauben würde; sie schrieb es
nicht einmal auf. Es würde in ihrem Interview einfach nicht vorkommen.
    Und John Wolf wusste dies: Was
die meisten Leser vor [632]  allem anderen wissen möchten, ist alles, was sich über
das Leben eines Schriftstellers in Erfahrung bringen
lässt. John Wolf schrieb an Garp: »Für die meisten Leute mit begrenzter
Phantasie ist der Gedanke, die Wirklichkeit zu verbessern, reiner Humbug.« Im
Klappentext zu Bensenhaver und wie er die Welt sah weckte John Wolf falsche

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