Garp und wie er die Welt sah
attraktive Frauen – alle jünger als John Wolf. Ein paar Mädchen aus der Verlagsbranche, aber
meist junge Frauen, die selbst geschieden und gutsituiert waren – immer
gutsituiert oder gutsituiert aussehend. An die meisten erinnerte sich Garp,
weil er sich an ihren angenehmen Geruch, den Geschmack ihres Lippenstifts und
die fühlbar teure Qualität ihrer Kleider erinnerte.
Weder Garp noch Helen hätten sich
vorstellen können, wie Jillsy Sloper aussah, die Tochter einer Weißen und eines
Quarteronen – was Jillsy zu einer Octavonin oder Achtelnegerin machte. Ihre
Haut war fahlbraun wie ein leicht gebeiztes Kiefernbrett. Ihr Haar war glatt
und kurz und tiefschwarz und begann, in dem grob gestutzten Pony über ihrer
glänzenden, runzligen Stirn zu ergrauen. Sie war klein und langarmig, und an
ihrer linken Hand fehlte der Ringfinger. Angesichts der tiefen Narbe an ihrer
rechten Wange konnte man sich vorstellen, dass der Ringfinger bei derselben
Auseinandersetzung, mit derselben Waffe abgehackt worden war – vielleicht in
einer schlechten Ehe, denn sie hatte bestimmt eine schlechte Ehe hinter sich.
Von der sie nie sprach.
Sie war etwa fünfundvierzig und
sah aus wie sechzig. Sie hatte den Rumpf einer trächtigen Labradorhündin, und
sie schlurfte, wann und wo sie ging, weil ihre Füße sie umbrachten. In ein paar
Jahren würde sie den Knoten, den [636] sie in ihrer Brust fühlte und den niemand
anders je fühlte, so lange ignorieren, dass sie unnötigerweise an Krebs sterben
würde.
Sie hatte (wie John Wolf
herausfand) eine Geheimnummer, weil ihr früherer Mann alle paar Monate drohte,
sie umzubringen, und weil sie keine Lust mehr hatte, von ihm zu hören; sie
hatte überhaupt nur ein Telefon, weil ihre Kinder eine Nummer brauchten, um
R-Gespräche anzumelden, damit sie sie bitten konnten, ihnen Geld zu schicken.
Doch als Helen und Garp sich
Jillsy Sloper vorstellten, sahen sie niemanden, der dieser traurigen, hart
arbeitenden Octavonin auch nur entfernt glich.
»John Wolf tut offenbar alles für
dieses Buch, abgesehen davon, dass er es nicht geschrieben hat«, sagte Helen.
»Ich wünschte, er hätte es geschrieben«, sagte Garp unvermittelt. Garp hatte
das Buch wieder gelesen und war voller Zweifel. In der Pension
Grillparzer, dachte Garp, herrschte eine gewisse Sicherheit darüber, wie
die Welt aussah. Bei Bensenhaver und wie er die Welt sah hatte Garp sich weniger sicher gefühlt – ein Zeichen, natürlich, dass er älter
wurde; aber Künstler, das wusste er, sollten auch besser werden.
Mit der kleinen Jenny und dem
einäugigen Duncan fuhren Garp und Helen in einem kühlen neuenglischen August
nach Europa; die meisten Transatlantikreisenden waren in die entgegengesetzte
Richtung unterwegs.
»Warum wartet ihr nicht bis nach
Thanksgiving?«, fragte Ernie Holm. Aber Bensenhaver und wie
er die Welt sah würde im Oktober erscheinen. John Wolf hatte [637] verschiedene
Antworten auf die Fahnenabzüge erhalten, die er den Sommer über zirkulieren
ließ, lauter leidenschaftliche Reaktionen – leidenschaftliches Lob oder
leidenschaftliche Ablehnung.
Es war ihm schwergefallen, Garp
weder die Vorabexemplare des Buches noch den Schutzumschlag zu zeigen. Aber
Garps Begeisterung für das Buch war so unbeständig und im Allgemeinen so
gedämpft, dass John Wolf es geschafft hatte, ihn hinzuhalten.
Jetzt hatte Garp Reisefieber, und
er sprach von anderen Büchern, die er schreiben würde. (»Ein gutes Zeichen«,
sagte John Wolf zu Helen.)
Jenny und Roberta brachten die
Garps nach Boston, wo sie ein Flugzeug nach New York nahmen. »Keine Sorge wegen
des Flugzeugs«, sagte Jenny. »Es wird schon nicht abstürzen.«
»Jesus, Mom«, sagte Garp. »Was
verstehst du von Flugzeugen? Es stürzen ständig welche ab.«
»Du musst deine Arme die ganze
Zeit bewegen, wie Flügel«, sagte Roberta zu Duncan.
»Mach ihm keine Angst, Roberta«,
sagte Helen.
»Ich habe keine Angst«, sagte
Duncan.
»Wenn dein Vater dauernd redet, könnt ihr nicht abstürzen«, sagte Jenny.
»Wenn er dauernd redet«, sagte
Helen, »werden wir nie landen. « Sie konnten sehen,
dass Garp gekränkt war.
»Ich werde den ganzen Flug furzen, wenn ihr mich nicht in Ruhe lasst«, sagte Garp,
»und dann explodieren wir alle mit einem gewaltigen Rums.«
»Schreib lieber viel«, sagte
Jenny.
[638] In Erinnerung an den guten
alten Tinch und an seine letzte Reise nach Europa sagte Garp zu seiner Mutter: »Diesmal
werde ich nur eine Menge
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