Garp und wie er die Welt sah
war.
»Wann fängt die Sause an?«,
fragte Garp Roberta.
»Um fünf Uhr nachmittags«, sagte
Roberta.
»Ich glaube, diese Zeit wurde
gewählt«, sagte John Wolf, [675] »damit jede zweite New Yorker Sekretärin eine
Stunde früher Schluss machen kann.«
»Nicht alle New Yorker Frauen
arbeiten als Sekretärinnen«, sagte Roberta.
»Die Sekretärinnen«, sagte John
Wolf, »sind aber die Einzigen, die anderen Leuten zwischen vier und fünf fehlen werden.«
»O Mann«, sagte Garp.
Helen kam herein und erklärte,
sie könne ihren Vater nicht erreichen.
»Er ist beim Ringertraining«,
sagte Garp.
»Die Ringersaison hat noch nicht
angefangen«, sagte Helen.
Garp sah auf den Kalender seiner
Uhr, die den Vereinigten Staaten einige Stunden voraus war; zuletzt hatte er
sie in Wien gestellt. Aber Garp wusste, dass das Ringen in Steering offiziell
erst nach Thanksgiving anfing. Helen hatte recht.
»Als ich in seinem Büro in der
Turnhalle anrief, sagte man mir, er sei zu Hause«, berichtete Helen Garp. »Und
als ich zu Haus anrief, nahm niemand ab.«
»Wir mieten am Flughafen einen
Wagen«, sagte Garp. »Wir können sowieso erst heute Abend fliegen. Ich muss zu
dieser verdammten Beerdigung.«
»Nein, du musst nicht«, insistierte Roberta.
»Nicht nur das«, sagte Helen, »du kannst gar nicht.«
Roberta und John Wolf wirkten
wieder grau und angeschlagen; Garp schlicht ahnungslos.
»Was soll das heißen, ich kann nicht?«, fragte er.
»Es ist eine feministische
Beerdigung«, sagte Helen. [676] »Hast du die Zeitung gelesen, oder hast du dich mit den Schlagzeilen begnügt?«
Garp warf Roberta Muldoon einen
vorwurfsvollen Blick zu, die sich jedoch an Duncan hielt, und der schaute aus
dem Fenster. Mit seinem Fernglas spähte er über Manhattan.
»Du kannst nicht kommen, Garp«,
gestand Roberta. »Es stimmt. Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich glaubte, es
würde dich richtig wütend machen. Ich hab sowieso nicht geglaubt, dass du
kommen wolltest. «
»Ich darf es nicht?«, sagte Garp.
»Es ist eine Beerdigung für Frauen «, sagte Roberta. » Frauen haben sie geliebt, Frauen werden um sie trauern. So haben wir es gewollt.«
Garp starrte Roberta Muldoon
zornig an. » Ich habe sie geliebt«, sagte er. »Ich bin
ihr einziges Kind. Soll das heißen, ich kann nicht zu dieser Sause gehen, weil
ich ein Mann bin?«
»Ich wünschte, du würdest es
nicht als Sause bezeichnen«, sagte Roberta.
»Was ist eine Sause?«, fragte
Duncan.
Jenny Garp quäkte wieder, aber
Garp hörte nicht hin. Helen nahm sie ihm ab.
»Soll das heißen, dass an der
Beerdigung meiner Mutter keine Männer teilnehmen dürfen?«, fragte Garp Roberta.
»Wie schon gesagt, es ist keine
richtige Beerdigung«, sagte Roberta. »Eher eine Demonstration – eine Art Verehrungsbekundung.«
»Ich werde kommen, Roberta«,
sagte Garp. »Wie du es nennst ist mir egal.«
[677] »O Mann«, sagte Helen. Sie
ging mit der kleinen Jenny zur Tür. »Ich versuche jetzt noch mal, meinen Vater
zu erreichen«, sagte sie.
»Ich seh einen Mann miteinemArm«, sagte Duncan.
»Komm bitte nicht, Garp«, sagte
Roberta einschmeichelnd.
»Sie hat recht«, sagte John Wolf.
»Ich wollte zuerst auch hingehen. Immerhin war ich ihr Verleger. Aber sollen
sie es doch so machen, wie sie wollen, Garp. Ich glaube, Jenny hätte die Idee
gefallen.«
»Mir egal, was ihr gefallen
hätte«, sagte Garp.
»Das wird wohl stimmen«, sagte
Roberta. »Noch ein Grund, weshalb du dich fernhalten solltest.«
»Sie wissen nicht, wie einige
Leute von der Frauenbewegung auf Ihr Buch reagiert
haben, Garp«, sagte John Wolf.
Roberta Muldoon verdrehte die
Augen. Der Vorwurf, dass Garp Kapital aus dem Ansehen seiner Mutter und aus der
Frauenbewegung schlug, war nichts Neues. Roberta hatte die Anzeige für Bensenhaver und wie er die Welt sah gesehen, die John Wolf
unmittelbar nach Jennys Ermordung geschaltet hatte. Garps Buch schien auch aus
jener Tragödie Kapital zu schlagen – die Anzeige zeichnete auf eine
widerwärtige, unterschwellige Weise das Bild eines bedauernswerten Autors, der
einen Sohn verloren hatte, »und jetzt auch noch die Mutter«.
Zum Glück bekam Garp diese
Anzeige nie zu Gesicht; selbst John Wolf bereute sie.
Bensenhaver
und wie er die Welt sah verkaufte sich wie geschmiert. Das Buch sollte
noch jahrelang umstritten sein; es sollte in Colleges als Pflichtlektüre
dienen. [678] Glücklicherweise sollten auch Garps andere Bücher dann und wann als
Collegelektüre
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