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Garp und wie er die Welt sah

Garp und wie er die Welt sah

Titel: Garp und wie er die Welt sah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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dienen. In einem Seminar diente Jennys Autobiographie zusammen
mit Garps drei Romanen und Stewart Percys Eine Geschichte
der Akademie Everett Steerings als Lektüre. Ziel und Zweck dieses
Seminars bestanden natürlich darin, alles über Garps Leben herauszufinden, indem man die Bücher auf Indizien nach wahren Begebenheiten durchforstete.
    Zum Glück erfuhr Garp auch nie
etwas über dieses Seminar.
    »Ich seh einen Mann miteinem Bein«, verkündete Duncan, der die Straßen und
Fenster von Manhattan nach all den Verkrüppelten und Verschrobenen absuchte –
eine Aufgabe, die Jahre in Anspruch nehmen konnte.
    »Hör bitte auf damit, Duncan«,
sagte Garp zu ihm.
    »Wenn du wirklich kommen willst,
Garp«, flüsterte Roberta Muldoon ihm zu, »musst du im Fummel kommen.«
    »Wenn man als Mann tatsächlich so
schwer reinkommt«, fuhr Garp Roberta an, »kann ich nur für dich hoffen, dass
sie am Eingang keinen Chromosomentest machen.« Er bereute seine Worte, kaum
dass sie heraus waren, denn er sah, wie Roberta zusammenzuckte, als hätte er
sie geschlagen; da nahm er ihre beiden großen Hände in seine und hielt sie, bis
er spürte, dass sie den Druck erwiderte. »Entschuldige«, flüsterte er. »Wenn
ich im Fummel gehen muss, ist es gut, dass du hier bist, um mir beim Verkleiden
zu helfen. Ich meine, du verstehst was davon, stimmt’s?«
    »Stimmt«, sagte Roberta.
    »Das ist lächerlich«, sagte John
Wolf.
    »Wenn einige der Frauen dich
erkennen«, erklärte [679]  Roberta Garp, »werden sie dich buchstäblich in Stücke
reißen. Zumindest werden sie dir den Zutritt verwehren.«
    Helen kam mit der quäkenden Jenny
Garp auf der Hüfte in das Büro zurück.
    »Ich habe Rektor Bodger
angerufen«, teilte sie Garp mit, »und gebeten, er möchte versuchen, Daddy zu
erreichen. Es sieht ihm nämlich so gar nicht ähnlich, nirgends zu finden zu
sein.«
    Garp schüttelte den Kopf.
    »Lass uns jetzt zum Flughafen
fahren«, sagte Helen. »Und von Boston mit einem Mietwagen weiter nach Steering.
Die Kinder brauchen Ruhe«, sagte sie. »Wenn du dann wieder nach New York
willst, um dich in irgendeine Schlacht zu stürzen, kannst du ja fahren.«
    » Ihr fahrt«, sagte Garp. »Ich komme mit einer späteren Maschine und einem Mietwagen
nach.«
    »Das ist albern«, sagte Helen.
    »Und eine unnötige Ausgabe«,
sagte Roberta.
    »Ich habe jetzt eine Menge Geld«,
sagte Garp; sein schiefes Grinsen in Richtung John Wolf wurde allerdings nicht
erwidert.
    Stattdessen erbot sich John Wolf,
Helen und die Kinder zum Flughafen zu bringen.
    »Ein Mann miteinem
Arm, ein Mann miteinem Bein, zwei humpelnde Leute«,
sagte Duncan, »und jemand, der überhaupt keine Nase hat.«
    »Warte noch ein bisschen, und
sieh dir dann deinen Daddy an«, sagte Roberta Muldoon.
    Garp dachte bei sich: ein
trauernder Exringer im Fummel bei der Gedenkfeier für seine Mutter. Er küsste
Helen [680]  und die Kinder und sogar John Wolf. »Mach dir keine Sorgen um deinen
Vater«, sagte Garp zu Helen.
    »Und keine Sorgen um Garp«, sagte
Roberta zu Helen. »Ich werde ihn so verkleiden, dass alle ihn in Ruhe lassen.«
    »Ich wünschte, du würdest versuchen, alle in Ruhe zu lassen«, sagte Helen zu Garp.
    Plötzlich stand noch eine Frau in
John Wolfs überfülltem Büro; niemand hatte sie bemerkt, obwohl sie versucht
hatte, John Wolf auf sich aufmerksam zu machen. In einem kurzen, klaren
Augenblick der Stille begann sie zu sprechen, und alle sahen sie an.
    »Mr. Wolf?«, sagte die Frau. Sie
war alt und schwarzgrau-braun, und ihre Füße schienen sie umzubringen; um den
Leib trug sie eine Verlängerungsschnur, zweimal um die breiten Hüften
geschlungen.
    »Ja, Jillsy?«, sagte John Wolf,
und Garp starrte die Frau an. Es war natürlich Jillsy Sloper; John Wolf hätte
wissen müssen, dass Schriftsteller ein gutes Namensgedächtnis haben.
    »Ich wollte nur mal fragen«,
sagte Jillsy, »ob ich heut Nachmittag etwas eher gehen kann – wenn Sie nichts
dagegen haben, weil ich zu der Beerdigung möchte.« Sie redete mit gesenktem
Kinn, ein undeutliches Nuscheln verschluckter Worte – so wenig wie möglich. Sie
machte nicht gern den Mund auf, wenn Fremde dabei waren; außerdem erkannte sie
Garp und wollte ihm nicht vorgestellt werden – nie und nimmer.
    »Aber natürlich«, sagte John Wolf
schnell. Er wollte Jillsy Sloper Garp ebenso wenig vorstellen, wie sie es wollte.
    [681]  »Einen Moment«, sagte Garp.
Jillsy Sloper und John Wolf erstarrten. »Sind Sie Jillsy Sloper?«, fragte

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